Oder: Nicht rumnölen hier
Es ist Tag der Deutschen Einheit und somit ein Feiertag! Für die meisten Menschen hierzulande zumindest, mit einigen Ausnahmen natürlich. Studenten, die an einer Masterarbeit basteln zum Beispiel. Oder Blogger, die beim Blogtober mitmachen.
Im heutigen Blogtober-Beitrag soll es ein bisschen um das mitunter schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Staatsangehörigkeit gehen. Um es kurz zu machen: Beschwert euch nicht über sie. Wir haben es gut.
Ich möchte kein Loblied auf Deutschland singen, das gehört sich hierzulande nicht und ich schätze, das ist auch richtig so. Und überhaupt, was ist eigentlich „Deutschsein“? Gute Frage, die sich hier wohl nicht klären lässt. Rein formal ist Deutschsein wohl die deutsche Staatsbürgerschaft. Und die ist, auch wenn sich das Deutschsein selbst bestenfalls neutral anfühlt, schon ziemlich nice. Und es gilt sie, wenn man sie nun schon hat, reisetechnisch schamlos auszunutzen.
Stolzsein also auf eine Staatsbürgerschaft, für die die meisten von uns Deutschen nichts getan haben, außer zur richtigen Zeit am richtigen Ort geboren zu sein? Nein, absolut nicht. Nicht stolz sein, dankbar sein.
Dankbar also? Wer sich im Ausland als deutsch outet, wird schnell in die „Socken in Sandalen“-Schublade gepackt. Und all die Witze über das Teutonic Towel, das wir auf den Liegen der mediterranen Strände ausbreiten, um unser Revier zu markieren. Da will doch niemand dazugehören! Liebe Leute, ich kann nur sagen, beklagt euch nicht über diesen „schlechten“ Ruf. Gut, wir werden in eine Schublade gesteckt, auf der „langweilig“, „uncool“ oder „überkorrekt“ steht. Na und? Lacht drüber oder beweist das Gegenteil, so ihr es könnt. Und außerdem: Fragt mal Araber oder Chinesen, in welchen Schubladen sie sich schon so wiedergefunden haben.
Wer einen deutschen Pass hat, für den ist Deutschland meist die home base, von der aus die Welt erkundet wird. Damit geht natürlich einher, dass man die Nachteile des Lebens in Deutschland irgendwie in Kauf nehmen muss, in dieser wohltemperierten Blase, in der wir uns befinden und so wenig von der Außenwelt mitkriegen. Ja, wir trennen penibelst unseren Müll. Nein, wir dürfen an Karfreitag nicht tanzen. Ja, unser Essen ist manchmal etwas speziell. Manche Dinge kann man aber auch versuchen zu ändern. Wir leben in einer Demokratie mit all ihren wunderbaren Partizipationsmöglichkeiten. Wir haben Supermärkte noch und nöcher – koch dir mal was Leckeres, bringe andere Menschen auf den Geschmack, dann könnte sich im Kleinen tatsächlich etwas verändern.
Das stärkste Argument gegen die Dankbarkeit für diese unsere deutsche Staatsangehörigkeit ist wohl der Nationalismus, in dessen Ecke man sich schnell gerückt sehen kann, wenn man sich freut, Deutscher zu sein. Natürlich ist es eine sehr schlechte Idee, stolz auf Deutschland zu sein, oder darauf Deutscher zu sein (wozu man, wie gesagt, oft gar keinen Beitrag geleistet hat – an dieser Stelle Grüße und Respekt an alle, die erst später im Leben einen deutschen Pass ergattert haben) oder deutsche Vorfahren zu haben (dito) oder einfach irgendwie besser zu sein als Leute aus anderen Ländern oder was weiß ich. Das lässt man am besten ganz schnell bleiben. Aber! Vergesst nicht, dass wir es richtig gut haben.
Denn: Es ist allgemein bekannt, dass der deutsche Pass so etwas wie die Schwarze Mamba unter den Pässen ist, dass Herz-Ass, die Allzweckwaffe schlechthin. Er öffnet uns Grenze um Grenze, beschert uns Stempel um Stempel und Visum um Visum, und wir nehmen das einfach so als selbstverständlich hin, hinterfragen es nicht weiter und werden gar irritiert, wenn es mal etwas holpert. Zu touristischen Zwecken sind mehr Länder für uns visumsfrei bzw. mit Visa on Arrival bereisbar als nicht. Das ist ein ziemliches Glück, denn für die meisten Menschen der Welt ist das Verhältnis andersherum. Es fühlt sich manchmal ein bisschen seltsam an, Chinesen in China nach Deutschland einzuladen, denn alle Beteiligten wissen: Das wird schwierig. Ich würde mich sehr freuen, chinesische Freunde in Deutschland zu begrüßen, aber wir alle wissen, dass die bürokratischen Hürden in vielen Fällen unerklimmbar sind, und das kann durchaus traurig stimmen. Ja, es gibt viele chinesische Touristen, Studenten und Geschäftsleute in Deutschland. Aber entweder sind sie, sagen wir mal, wohlsituiert (nicht nur nach chinesischen Standards, sondern auch nach denen, die deutsche Konsulate in China anlegen), oder aber sie haben einen langen, steinigen Weg hinter sich, um überhaupt einen Fuß auf deutschen Boden setzen zu dürfen. Natürlich brauchen auch Inhaber deutscher Pässe ein Visum für manche Länder. Doch meist ist das Prozedere kurz, für Nordkorea oder Vietnam ist der Antrag z.B. 2 DIN A4-Seiten lang. Für China sind es schon etwas mehr Zettel (seite ein paar Jahren vorbei sind die Zeiten dünner Visumsanträge für China), aber wir haben trotzdem das Gefühl eines „Anspruchs“ auf dieses Visum, wenn unsere Unterlagen in Ordnung sind. Umgekehrt ist das nicht so. Überall auf der Welt werden einwandfreie Visumsanträge für Deutschland abgelehnt, mit einem Ablehnungsbescheid, der so voller Juristendeutsch ist, dass es weder Deutsche noch Ausländer verstehen können. Letztlich ist es ohnehin egal. Vielleicht hatte der Sachbearbeiter schlecht gefrühstückt. Vielleicht hatte dein T-Shirt die falsche Farbe. Und dann waren Monate an Arbeit und Ausgaben horrender Summen umsonst. Die Deutschen hingegen gehen die Wand hoch, wenn ein Visum nicht innerhalb eines Nachmittags beantragt werden kann.
Noch ein reisetechnischer Vorteil eines deutschen Passes: An der Grenze kennt man dein Land. Mein Freund stammt aus einem Land, von dem die allerwenigsten Menschen überhaupt mal gehört haben, und erschreckenderweise auch die allerwenigsten Menschen an den Grenzübergängen der Welt, die nun eigentlich wirklich Bescheid wissen sollte, welche Länder es gibt. Das führt zu endlosen Komplikationen. Also nörgelt nicht darüber, dass „hier schon so viele Deutsche waren“, es ist gar nicht so schlecht.
Letzter Vorteil der deutschen Staatsangehörigkeit: Wird man im Ausland nach ihr gefragt und antwortet wahrheitsgemäß, kommt man zwar vielleicht in Genuss von Witzen über Schuhwerk und darin befindliche Socken (Witze, die man wirklich noch nie gehört hat…), aber ganz allgemein ist die Reaktion positiv. Das gilt auch in Ländern, von denen behauptet wird, die Menschen dort hegten Abneigungen (oder gar Stärkeres) gegen Deutsche, also z.B. Frankreich oder England. Es mag aus Höflichkeit sein, aber zumindest reagieren immer alle nett, wenn man sagt, woher man kommt – vielleicht freuen sie sich auch einfach, dass sie zuvor richtig geraten haben, denn ja, den meisten Deutschen sieht man es an. Generell sind alle freundlich gegenüber Deutschen eingestellt, manchmal vielleicht etwas zu freundlich, wenn es um, wie ich stets zu sagen pflege, Diktatoren der deutschen Vergangenheit geht. Am besten, man lenkt das Gespräch auf die Dreifaltigkeit aus Autos, Bier und Rammstein. Das kennt jeder und ist unverfänglich. Oder man spricht über das aktuelle Wetter.
Also, liebe Leserschaft, beschwert euch nicht, dass ihr Deutsche seid. Wenn ihr einen Satz mit „Ich weiß, wir haben mit unserem Pass echt Glück, aber…“ anfangt, dann hört nach dem „Aber“ einfach auf. Niemand will über Socken in Sandalen hören.
Eure ebenfalls von Geburt an mit der deutschen Staatsangehörigkeit versehene Charlotte