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Frankfurt (Oder): Neulich in der Mensa

Oder: C’est quoi, ça?

Ihr Lieben,

Eure ausländische Heldin ist keine ausländische Heldin mehr, denn sie ist seit einer Weile zurück in ihrem kalten Heimatland (shenghuoshenghuo berichtete!). Im Moment schnuppert sie in die magische, praktische Berufswelt hinein, begibt sich aber in einem Monat wieder zurück in ihren Elfenbeinturm.

Ausländische Helden gibt es aber weltweit zuhauf, und so traf unsere ehemalige Heldin auf zwei ausländische Heldinnen, deren Land etwas wärmer als das ihrige ist und dessen Bewohner in kulinarischen Dingen deutlich bewanderter sind als die Bewohner des kalten Landes. Manchen mag es befremdlich erscheinen, dass die Bewohner dieses Landes gelegentlich Frösche und Schnecken verspeisen, aber hinsichtlich der Kulturschocks besteht ein gewisses Ungleichgewicht, denn die ausländischen Heldinnen, um die es hier geht, haben eigentlich täglich unangenehme Begegnungen mit dieser merkwürdigen Sache, die sich „deutsche Küche“ nennt. Sie sprechen die Sprache des kalten Landes mit all seinen Konsonanten und rauen Lauten schon ganz gut, trennen brav ihren Müll,[1]kippen Mineralwasser in Saft und stellen die Regelstudienzeit infrage. Wahrscheinlich schauen sie auch finster, wenn ihr Zug fünf Minuten später ankommt. Man könnte sagen: Sie integrieren sich hervorragend. Aber das Essen! Der Bauch hat sich noch nicht ganz anpassen können und muss lernen, Tag um Tag neuen Provokationen ausgesetzt zu werden.

Des Öfteren speisen die zwei (neuen) ausländischen Heldinnen und die ehemalige Heldin in der Mensa des örtlichen Elfenbeinturms. Es gibt drei Gerichte, eine Salatbar und sogar eine kleine Auswahl Nachtische. Theoretisch wäre hier für jeden etwas dabei. Theoretisch.

Auf dem heutigen Speiseplan steht ein Gericht, das sich „Chilipoppers“ nennt. Den Bewohnern des kalten Landes ist es eigentlich weniger bekannt und wenn, dann eher als Fingerfood auf Partys, aber diese Mensa ist halt cool. Beim Chilipopper handelt sich um eine Schote irgendeiner paprikaähnlichen Frucht, die mit Frischkäse gefüllt und anschließend komplett paniert wird. Das schmeckt den Bewohnern des kalten Landes super, doch für ausländische Helden ist es wie ein Überraschungsei, wenn man den Namen nicht kennt, weiß man nicht, was sich darin befindet. (Und auch wenn man den Namen des Gerichts kennt, bietet er kaum Anhaltspunkte für seinen Inhalt.)

Die zwei ausländischen Heldinnen und die Bewohnerin des kalten Landes haben sich alle drei mit Chilipoppers eingedeckt, Platz genommen und Messer und Gabel gezückt. Es kann losgehen.

Ausländische Heldin 1: (schneidet ein Stück Chilipopper ab) Ich bin ja so froh, dass es heute etwas Leckeres gibt. Gestern war schrecklich. (schaudert)

Ausländische Heldin 2: Manchmal hat man doch Glück! Und ich habe Hunger. Guten Appetit! (Schiebt sich sich ein Stück Chili Popper in den Mund. Kaut. Erstarrt) C’est…quoi, ça? (kaut) Oooooh…

Heldin 1 und Bewohnerin des kalten Landes: (verwirrt. Was ist los?)

Heldin 1: Alles ok?

Bewohnerin des kalten Landes: (wird von der Vorahnung beschlichen, dass die zwei ausländischen Heldinnen nicht so ganz genau wissen, was ein Chilipopper ist. Oh-oh.)

Heldin 2: Ist das…kein Fleisch? (schluckt widerwillig)

Kaltländerin: Naja, das ist…die nennen das Chilipopper. Das ist so….naja…nicht Chili…aber so ähnlich…mehr so…Paprika…mit Frischkäse, also innen drin…und so…

Heldinnen 1 und 2: (große Augen)

Heldin 2: Kein Fleisch?

Bevor die Kaltländerin antworten kann, entspinnt sich ein sehr aufgeregtes Gespräch auf Französisch. Mit ihren mehr als lückenhaften Sprachkenntnissen kann die Kaltländerin erkennen, dass es tatsächlich um den Chilipopper dreht. Es fallen Ausdrücke wie „schrecklich“, „furchtbar“, „ich dachte“ und „das kann doch nicht wahr sein“. Unterdessen probiert sie einen Chilipopper. Schmeckt köstlich.

Heldin 1: (hat sich nun auch ein Stück Chilipopper auf ihre Gabel gespießt. Betrachtet es sorgfältig durch ihre Brille, fasst sich dann ein Herz und befördert es in den Mund. Kaut. Läuft rot an. Und noch röter.) Das ist ja…pikant!!

Heldin 2: Oui, es ist sehr scharf, dieses Gemüse. (Seziert penibel den angebissenen Chilipopper und versucht, die schotenartige Frucht zu entfernen. Bildet einen kleinen roten Berg mit ihren Fünden.)

Heldin 1: (hat es geschafft, das Biest hinunterzuschlucken. Trinkt beherzt aus einer Flasche Wasser.)

Heldin 2: Ich dachte, das wäre Fleisch! Das ist doch komisch! Wirklich furchtbar. (schüttelt tadelnd den Kopf).

Heldin 1: Es tut so weh! Ma bouche… (schneidet ein zweites Stück ab und hält es sich unter die Nase. Fehlt nur noch das chemische Riechen).

Heldin 2: Und diese Mensa, es ist immer alles mit sauce. Was ist das hier? Wie heißt es…Zaziki? (zeigt mit dem Messer auf eine weiße Masse)

Kaltländerin: (fühlt sich zunehmend barbarisch) Ja…ich denke schon, ja. Das…wir…also, die Deutschen mögen dicke Soßen. (versucht, ihr Land zu erklären, aber das wird immer schwerer. Zumal Zaziki gar nicht deutsch ist.)

Heldin 1: Nein, es ist nicht immer alles mit sauce. Der salade zum Beispiel, der ist immer ohne sauce. Ist das bei euch normale?

Kaltländerin: Hmmm naja. Nein, eigentlich nicht… wir essen Salat meist mit Essig, Öl, Salz und Pfeffer…

Heldinnen 1+2: (lassen Hoffnung in ihr Gesicht, zur Freude der Kaltländerin.)

Kaltländerin: …oder ganz anderen Dressings, z.B. Joghurt oder…sowas.

Heldinnen 1+2: (blicken wieder grimmig)

Heldin 2: Joghurt…oui. (Französischer Wortschwall).

Heldin 1: Aber es ist besser als gestern. Diese… wie hieß das?

Kaltländerin: Deins hieß Grützwurst. Ich dachte auch immer, das wäre eine Wurst. (Bis heute weiß sie nicht, ob es ein kleiner Unfall in der Küche oder Absicht war, dass das ausgehändigte Gericht eher aussah wie der Inhalt der Grützwurst als, naja, eine Wurst halt. Vielleicht ist das hierzulande so. Sogar die Kaltländerin konnte dieser Speise nichts abgewinnen und war am Vortag froh, sich für etwas Anderes entschieden zu haben. Die zwei Heldinnen tun ihr echt leid.)

Eine Gruppe große, starke Sportstudenten setzt sich, mit Chilipoppers und anderen Speisen beladen, an den Nachbartisch. Sagen „‘N Guden!“ zueinander und spachteln los. Die ausländischen Heldinnen sind ein wenig irritiert.

Heldin 2: Möchtest du meine haben?

Heldin 1: Und meine auch?

(Eine Viertelstunde später. Die ausländischen Heldinnen und die Bewohnerin des kalten Landes haben ihre Mahlzeit abgeschlossen, doch die Teller sind noch lange nicht leer. Auf den Tellern der Heldinnen finden sich jeweils ein großer Berg Soße sowie Gemüse und Pommes, die mit ihr in Kontakt waren und somit ungenießbar geworden sind. Auf dem Teller der Kaltländerin finden sich Krümel der Chilipopper-Panade und die Beilagen, die sie nach diesen Unmengen Chilipoppern nicht mehr in ihren Magen quetschen konnte.)

Heldin 1: Ich glaube, ich hole mir noch am Automaten Schokolade.

Heldin 2: Ich nicht. Es war so schrecklich, ich will erstmal gar nichts essen.

Ein großer, starker Bekannter der Sportstudenten ist zu ihnen an den Nachbartisch getreten. Man begrüßt sich mit einem herzlichen „Mahlzeit!“

Student 1: Und? Schmeckt’s? Könnt ihr was empfehlen? (blickt auf Chilipoppers und Anderes)

Student 2: Jau, schmeckt alles super. Kannste nix falschmachen.

Wenn ihr wüsstet.

 

[1] eine der Heldinnen war vor einer Weile Au Pair in Rheinland-Pfalz, wo sie mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert war: In welchem der fünf Mülleimer war eine Windel zu entsorgen? Plastik? Papier? Oder gar…Biomüll?? Es ist nicht leicht.

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