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Gelbe Rapsfelder bei Luoping, Yunnan, 2013

Gelb, Rot, Qing: Farben in China

Oder: Warum es in China schwer ist, eine grüne Mütze zu kaufen (und warum man skeptisch werden sollte, wenn man eine geschenkt bekommt)

Liebe Leserschaft,

gestern war ich auf einer sehr coolen WG-Party, aber ich war nicht blau. Und auch nicht gelb (oder grün) vor Neid. Und obgleich ich eigentlich kein sonderlich optimistischer Mensch bin, sehe ich keineswegs schwarz, was die kommende Woche betrifft, aber falls sie doch anstrengend wird, mache ich halt blau und sage mir, dass ich ob einer recht produktiven vergangenen Woche ja irgendwie eine weiße Weste habe.

Farben machen Spaß, wenn man sie in ihrem historischen und kulturellen Kontext betrachtet, und erst recht, wenn es um einen geographischen Raum jenseits des eigenen geht. Chinesisch und China sind da natürlich keine Ausnahme. Im heutigen Eintrag geht es also um ein paar Betrachtungen dieser Art, wobei es sich irgendwie um einen Mischmasch aus historisch Gewachsenem und heute Verwendetem handelt. Aber es ist vielleicht wie mit den Farben, erst in einer Mischung wird es interessant. Wie bei eigentlich allen Blogeinträgen ist es mehr eine laufende Arbeit als eine tatsächlich abschließende Darstellung, aber das kennt ihr ja schon. Auf geht’s.

Ein Wort zur Geschichte (aber wie immer wirklich nur eins)

In der (Han-)chinesischen Antike und auch darüber hinaus gab es fünf Grundfarben: Rot, Schwarz, Grün, Weiß und Gelb. Diese spiegelten sich in der irgendwie komplizierten und zugleich doch einfachen Fünf-Elemente-Lehre wieder. Die Fünf-Elemente-Lehre erklärte alles, aber auch wirklich alles, der sichtbaren und weniger sichtbaren Welt und teilte sie in Fünf Kategorien, die wiederum bestimmte Wechselwirkungen zueinander aufbauen – seien es Planeten, Organe, Himmelsrichtungen, Musiknoten, you name it. Und so eben auch Farben.

Rot

Rot (hong se 红色) ist DIE chinesische Farbe schlechthin, zumindest in Han-Regionen. Jeder, der sich schon einmal der leicht skurrilen Situation wiedergefunden hat, in der er erklären musste, auf diesem oder jenem Zettel für ein Chinavisum unbedingt einen roten Stempel zu benötigen, wird sich dessen bewusst sein. (Tipp übrigens: in ein rotes Stempelkissen investieren und selbiges zum Stempelvorgang mitnehmen. Spart Nerven). Rot bringt Glück und wird bei Hochzeiten und Feiertagen wie dem Frühlingsfest getragen und ist an diesen Anlässen die Dekorationsfarbe schlechthin.

chunlian frühlingsfest shijiazhuang
Aufhängen von chunlian 春联 zum Frühlingsfest in Shijiazhuang 2013 – natürlich rot

Aber Vorsicht – man kann hier schnell im Fettnäpfchen stehen. Denn Rot ist auch die Farbe, in der Namen auf Grabsteine geschrieben werden, und wenn man nicht massenweise Unglück über sich oder die Person, deren Namen man gerade als ganz großer Chinakenner in Rot geschrieben hat, bringen möchte, sollte man zu irgendeinem anderen Stift greifen.

Etwas jünger ist die Verknüpfung mit Kommunismus und Sozialismus, deren Farbe wohl weltweit Rot ist. Dies zeigt sich in Ausdrücken wie hongge 红歌 (rotes Lied) oder hongjun 红军 (Rote Armee).

Und, noch neuer: Wenn etwas der letzte Schrei ist, wird es auf Chinesisch rot. Beispielsweise wird etwas zouhong 走红 („es geht rot“), wenn es sich plötzlicher Beliebtheit erfreut. Internetstars bezeichnet man als wanghong 网红 („Internetrot“).

Schwarz

Die Farbe Schwarz (hei se 黑色) ist in China negativ konnotiert. Das Wort für Schwarz bedeutet auch „dunkel“ – und „dunkel“ impliziert an dieser Stelle „verborgen, verboten“. Deutsch ist da sehr ähnlich – Schwarzarbeit z.B. heißt auf Chinesisch auch heigong 黑工 (wörtlich tatsächlich schwarze Arbeit). Durchaus nützlich ist auch der Ausdruck heiche 黑车 (schwarzes Auto), mit dem illegale Taxis beschrieben werden. Und wer sich ohne Aufenthaltserlaubnis irgendwo aufhält, ist ein 黑户 (heihu – hei bedeutet schwarz, hu steht für hukou 户口, das chinesische Haushaltsregistrierungssystem, das recht streng vorschreibt, wer wo wohnen darf).

Übrigens: Schwarztee heißt auf Chinesisch roter Tee (hongcha 红茶). Eigentlich auch nur logisch, wenn man sich die Farbe des Getränks anschaut.

Grün

Auch Grün (lü se 绿色) war eine der Fünf Farben des Fünf-Elemente-Lehre. Es stand und steht, wie andernorts auch, für den Frühling, die Natur und ihr Erwachen. Heutzutage steht Grün auch für Umweltbewusstsein, beispielsweise auf Produkten im Supermarkt.

Was es aber nie in Grün zu kaufen gibt, sind grüne Hüte oder Mützen. Der Grund dafür liegt in einer irgendwie tragikomischen Story deren Ursprung sich mir noch nicht so ganz erschlossen hat: Eine Frau betrog ihren Ehemann mit ihrem Nachbarn. Immer wenn der Ehemann für längere Zeit das Haus verließ, gab die Frau ihm eine grüne Mütze zu tragen – der heimliche Geliebte wusste also, sobald er den Ehemann mit diesem Kleidungsstück das Haus verlassen sah, dass die Luft rein war und er seine Geliebte besuchen konnte. Irgendwann wussten es dann alle Nachbarn bis auf den Ehemann, und „eine grüne Mütze tragen“ (oder einen grünen Hut) wurde zum geflügelten Wort. Bis heute möchte natürlich niemand so dastehen, und grüne Mützen wären in jedem Geschäft absolute Ladenhüter. Wenn man in Deutschland gehörnt wird, trägt man in China also eine grüne Mütze.

Weiß

Weiß (bai se 白色) hat im Chinesischen irgendwie eine gute aber irgendwie auch eine schlechte Konnotation. Zum einen steht die Farbe in Zusammensetzungen, in denen man ausdrückt, etwas umsonst oder für die Katz‘ getan zu haben: „Ich bin umsonst hingegangen, der Laden hatte zu“ o.Ä. würde man auf Chinesisch mit „ich bin weiß hingegangen“ (bai qu de 白去的) wiedergeben. Das funktioniert natürlich mit allen Verben, z.B. „weiß gelernt haben“, „weiß getan haben“ usw. Außerdem ist Weiß die Farbe der Trauer in China und wird z.B. auf Beerdigungen getragen und verwendet. Ich finde, es passt eigentlich ganz gut – die Leere, die einer verstorbenen Person folgt, gibt die Farbe Weiß ganz gut wieder. Vielleicht aber auch eine Überinterpretation meinerseits.

Weiß hat aber auch eine positive Bedeutung, wie auch in diversen anderen Kulturkreisen. Es steht für das Reine und Pure, auch und vor allem im moralischen Sinne.

Übrigens tragen heutzutage immer mehr Bräute statt eines roten ein weißes Hochzeitskleid.

Gelb

Noch ambivalenter als Weiß ist im Chinesischen wohl Gelb (huang se 黄色). Einerseits war Gelb immer die Farbe des Kaisers, von der Antike an bis hin zu Pu Yi, dem letzten Kaiser Chinas, der sich in seiner Biographie an viel gelbes Spielzeug seiner Kindheit erinnert. Auch das hängt mit der Fünf-Elemente-Lehre zusammen, denn Gelb stand unter den Elementen für die Erde und unter den Himmelsrichtungen für die Mitte, und die Mitte war natürlich der Kaiser.

changchun palast
im Palast des letzten Kaisers von China (Pu Yi) in Changchun 2010

Gelb bedeutet heute aber auch irgendwie das Gegenteil: schlüpfrig, obszön, pornographisch. So gibt es gelbe Filme (huangpian 黄片) oder gelbe Romane (huangse xiaoshuo 黄色小说). Woher diese Bedeutung der Farbe Gelb nun kommt – keine Ahnung. Ich frage mich das schon länger, habe aber eine schlüssige Erklärung ist mir noch nicht begegnet.

Halt – fehlt da nicht noch was?

In der Tat. Aufmerksame Blogleser werden gemerkt haben, dass, Überraschung, die Fünf-Elemente-Lehre nur fünf Farben enthält, doch gibt es natürlich viel mehr. Also hier ein paar Worte zu den restlichen Farben:

Blau (lan se 蓝色): Ein Sprichwort oder irgendetwas Geschichtliches zur Farbe Blau ist mir bislang nicht über den Weg gelaufen. Soweit ich weiß, wird die Farbe Blau in China traditionell mit der Geisterwelt in Verbindung gebracht, was immerhin erklären könnte, weshalb es so wenige Redewendungen gibt, die die Farbe Blau enthalten.

lanping
Blauer Himmel über Lanping, Westyunnan, 2017

Lila (zi se 紫色): Ähnlich wie Gelb war Lila eine Farbe für den Adel, wohl weil diese Farbe schwer herzustellen war. Die Verbotene Stadt in Peking heißt auf Chinesisch „alter Palast“ (gugong 故宫), hat aber als Alternativnamen „Lila Verbotene Stadt“ (zijincheng 紫禁城).

kunming bougainville
Lila Bougainvillea im Zentrum Kunmings

Orange (cheng se 橙色): Puh, keine Ahnung. Heute gilt Orange wie andernorts auch als vitale, kräftige Farbe, aber was die chinesische Sprache bzw. Kultur betrifft, bin ich mir echt nicht sicher. Meines Wissens galt Orange lange als helles Rot oder dunkles Gelb.

Halt – fehlt da nicht noch was?

Tut es in der Tat, liebe Sprecherinnen und Sprecher des Chinesischen. Für alle Anderen: Die Grenzen zwischen einzelnen Farben werden überall etwas anders gezogen, und so gibt es auf Chinesisch ein Wort für eine Farbe, das die deutsche Sprache nicht kennt. Und das man auch nicht zu brauchen glaubt, bis…ja, bis. Bis man einen ungeschickten Moment hat, volle Kanne stolpert und bald schon einen riesigen blauen Fleck hat. Den man dann natürlich seinem sozialen Umfeld beschreiben möchte: „Ich hab einen blauen Fleck am Bein…naja, eigentlich ist er gar nicht blau, mehr so…grün. Und schwarz. Also eigentlich gar nicht blau, ach hmm…naja.“ Gut, dass Chinesisch genau für diese Mischung aus Blau und Grün und irgendwie auch Lila und Schwarz ein eigenes Wort kennt: qing 青. Problem gelöst. Ist euer Mind jetzt so richtig schön geblown? Lernt Chinesisch, diese Sprache bietet noch viel mehr Momente dieser Art.

Das also zu den chinesischen Farben und ihre kulturellen Kontexten. Wenn man das Ganze mal mit der deutschen Sprache vergleicht, fällt ziemlich schnell auf, dass es sowohl Unmengen Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede gibt, und das ist das Schöne an der Beschäftigung mit einem anderen Kulturkreis. Zu einen hinterfragt man eigene Denkmuster, die man immer für selbstverständlich hielt. Aber zum anderen entdeckt man so vieles, was man mit diesen scheinbar so „anderen“ Menschen teilt.

Warum zum Beispiel nennen wir Schwarztee Schwarztee und nicht Rottee? Warum ist unsere Trauerfarbe Schwarz? Es gibt für beides logische Erklärungen, aber mal über ebendiese Erklärungen nachzudenken, ist eigentlich ganz interessant und lehrt einen auch einiges über die eigenen Wurzeln. Und dass nicht alles, was absolut scheint, auch absolut ist.

Andererseits teilen wir auch hier einiges: Lila war in Europa wie in China die Farbe des Adels, weil es in beiden Teilen der Welt eine schwer herstellbare Farbe war. Grün steht überall für den Frühling und das Leben, aus naheliegenden Gründen. Und Schwarzarbeit heißt auch in China Schwarzarbeit.

Liebe Leserschaft, was ist eure Lieblingsfarbe? Und welche Konnotationen von Farben kennt ihr aus anderen Teilen der Welt?

Eure meist ins Blaue schreibende Charlotte

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