Oder: Was ist eigentlich nachhaltige Entwicklung?
Liebe Leserschaft,
zuerst einmal: Danke! Seit einer Weile hat dieser Blog 100 Likes auf Facebook. Da fühle ich mich natürlich sehr geehrt! Vielen Dank an alle, die diesen Blog lesen, es freut mich wirklich sehr, dass mein Geschreibsel tatsächlich Adressaten hat und dass sich so viele von euch für China und meinen Alltag hier interessieren.
Im Moment verlangt der Blog von seiner Leserschaft gewisse räumliche Sprünge über Tausende von Kilometern, denn er berichtet dieser Tage zum einen vom Leben hier in Nanjing, wo ich ein bisschen Auslandsstudium betreibe, zum anderen aber von einer Reise, die mittlerweile Monate zurückliegt und die mich mit einem kleinen Rucksäckchen (drei T-Shirts müssen für vier Wochen einfach reichen) und in klapprigen Bussen durch Chinas wunderschönen Südwesten führte: durch Yunnan, wo ich mich durchaus heimelig fühle. In Yunnan gibt es leckeres Essen, eine weltweit einzigartige Artenvielfalt und (offiziell) 26 verschiedene ethnische Gruppen, über die ich mein Lebenswerk schreiben werde. Doch ich will nichts beschönigen, es gibt auch viel Korruption und schlimme Armut. Außerdem haben die Yunnaner die Arbeit nicht gerade erfunden, und das Konzept von „Hygiene“ hat sich auch noch nicht überall
durchgesetzt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
In diesem Sinne war Lanping 兰坪, die nächste Station meiner Reise, der Inbegriff der Yunnan-heit. Wer zwei Schritte aus dem Busbahnhof getan hat, froh eine ziemlich gruselige Fahrt durch die Schluchten des Lancang (oder Mekong, wie dieser Fluss in Deutschland heißt) in Westyunnan überstanden zu haben, entdeckt eine lebhafte, aber ärmliche Stadt vor dem Hintergrund einer imposanten Bergkulisse.
Unsere ausländische Heldin sucht sich also wieder einmal eine gammelige Unterkunft, in diesen Teilen Chinas nicht gerade schwer, lädt ihr Rucksäckchen auf einem der zwei Betten ab und lässt sich beherzt auf das zweite fallen – Hotels in China bieten meist nur Zweierzimmer an, was bei usseligen Reisenden wie der Verfasserin dieser Zeilen meist dazu führt, dass eines der zwei Betten als eine Art, sagen wir mal, Ablagefläche dient. (Nein, Hostels gibt es nur in verwestlichten Städten und ohnehin nehmen sie sich preislich mit billigen Hotels kaum etwas). Doch schon ertönt von draußen Musik und die Neugier der ausländischen Heldin ist geweckt, das Rucksäckchen schnell wieder ergriffen und der Musik nachgegangen.
Tanzende Menschen! Und nicht wenige von ihnen, Jung und Alt, Mann und Frau, in der Abenddämmerung über Lanping, auf dem Volksplatz. Einige, v.a. Frauen, tragen die Trachten der diversen ethnischen Gruppen Lanpings. In Lanping leben zum einen die Bai 白族, eine der größeren ethnischen Gruppen Yunnans, die an vielen Orten anzutreffen sind, zum anderen aber auch die Pumi 普米族, die tatsächlich nur in und um Lanping leben. Zum Vergleich: Bai gibt es in China fast zwei Millionen, Pumi hingegen 25.000. Neben den Bai und Pumi tummeln sich in der Lanpinger Gegend noch Yi, Nu, Tibeter und viele weitere ethnische Gruppen, von denen fünf auf so einem lustigen Mangabildchen neben einer Baustelle (Baustellen…noch so eine Yunnan-Konstante) in Lanping abgebildet sind. China, Land der lächelnden, heiteren ethnischen Minderheiten.
Wie es in kleineren Orten Yunnans so ist, ist die Ankunft eines Ausländers eigentlich für niemanden von Interesse (oder zumindest nicht genug, um dieses Interesse kundzutun). Und so beobachtet die ausländische Heldin die Lanpinger Helden und macht, so heimlich das eben geht, Paparazzi-Fotos für ihre treuen Blogleser. Zugegebenermaßen auch ein bisschen für sich selbst.
Während unsere ausländische Heldin also das Getanze auf dem Marktplatz beobachtet, froh, nicht, wie es schon längst in einer größeren Han-Stadt der Fall gewesen wäre, in den lustigen Reigen hineingezogen zu werden, was zwangsläufig für alle Beteiligten die bewährte Mischung aus verkrampft und awkward gewesen wäre, sondern einfach ein bisschen zugucken zu können. In manchen Gesten glaubt sie, irgendetwas zu erkennen, vielleicht wird etwas geerntet oder gewaschen? Man weiß es nicht.
Dann sind die Tänze vorbei (eine geschlagene Stunde) und alles macht sich auf den Heimweg. Man hat auch das Gefühl, dass sich nun in Lanping nicht mehr allzu viel ereignen wird, und auch die ausländische Heldin überlegt, so langsam zurück in ihr gammeliges Hotel zu gehen. Doch dann wird sie doch von einem jüngeren Mann etwa ihres Alters angesprochen, der sich als ein gewisser Li entpuppt. Er stammt aus Yibin in Sichuan und studiert in Chongqing, doch seine Eltern sind vor kurzer Zeit wegen der Arbeit des Vaters, seines Zeichens Ingenieur, nach Lanping gezogen. Li selber ist Han und scheint Lanping genauso gut zu kennen, wie es die jüngst eingetroffene ausländische Heldin tut, nämlich: fast gar nicht. In den Ferien muss er im Büro des Vaters aushelfen und hat das Freizeitangebot Lanpings jetzt doch schon voll ausgeschöpft: „Abends dem Tanz zugucken und manchmal in den Supermarkt gehen“. In den Supermarkt? Ja, in den Supermarkt. Der muss natürlich gleich der möglicherweise ersten westlichen Touristin Lanpings gezeigt werden.
Der Supermarkt ist immerhin von einer gewissen Größe (zwei Etagen), durch die unsere zwei Helden nun spazieren. Es ist nicht mehr allzu viel los, ein paar Lanpinger tätigen noch letzte Einkäufe, ansonsten herrscht Feierabendstimmung. Die ausländische Heldin fühlt sich ein bisschen an das Aufwachsen in einer Kleinstadt in Sturmfestunderdverwachsen erinnert, in der man auch nachmittags mit Freunden Geschäfte besuchte (besonders beliebt: die Zoohandlung), ohne etwas zu kaufen, einfach weil sonst nichts los war. „Und was kann man hier noch so machen?“ „Naja…bis auf den Tanz und den Supermarkt nicht so viel. Ach, und dann gibt es da noch den Berg.“ „Den Berg?“
Der muss natürlich besucht werden. Li hat am nächsten Tag tatsächlich frei und so wird der nächste Tag als Bergerklimmungstag auserkoren. Die ausländische Heldin wird noch von Li zurück in ihr Hotel gebracht, wo ihr von ihm noch einmal eindringlich die Gefahren des Reisens alleine geschildert werden (wo natürlich was dran ist, aber dies von einem wildfremden Mann, der einen soeben ins Hotel begleitet hat, vor Augen geführt zu bekommen, ist trotzdem irgendwie paradox), dann legt sie sich schlafen und rüstet sich für den Berg.
To be continued!