Oder: Ausflug in eine Planstadt
Liebe Leserschaft,
heute machen wir eine klitzekleine Zeitreise, dafür aber gleich eine doppelte: Zunächst einmal versetzen wir uns zurück in den November 2021, Omikron wird bald anklopfen, aber da wir das (zumindest in all seinen Dimensionen) noch nicht wissen, haben wir es uns in unserem Corona-Alltag gemütlich gemacht: Manches geht, manches nicht, so ist das eben. Eine Sache, die definitiv in die „geht“-Kategorie fällt, ist – endlich wieder – die Reiserei, und das muss man mir natürlich nicht zweimal sagen. Die andere Zeitreise führt uns in die 1950er Jahre nach Eisenhüttenstadt.
Denn das Ziel dieser endlich-wieder-Reise war: Eisenhüttenstadt, eine Planstadt, die zusammen mit dem 1950 gegründeten Eisenhüttenkombinat Ost gebaut wurde. Dies geschah nach sozialistischen Grundsätzen aus den „16 Prinzipien des Städtebaus“ (zunächst), d.h. Eisenhüttenstadt kam an das „Ideal einer Stadt“ in der DDR schon recht dicht dran. Der Stadtkern gliedert sich in durchnummerierte Wohnkomplexe, von denen jeder früher alles bot, was im Alltag gebraucht wurde, z.B. Kitas, Kliniken oder Geschäfte. Die frühen Wohnkomplexe wurden in konventioneller „Stein auf Stein“-Methode gebaut, ab 1955 verwarf die DDR-Führung die 16 Grundsätze und mit ihnen auch den sozialistischen Klassizismus, repräsentative Bauten und dergleichen, und entschied sich für Standardisierung und – natürlich – den Plattenbau, der in den später errichteten Wohnkomplexen zu sehen ist.
Hier lässt sich also eine Utopie betrachten: eine lebenswerte Stadt, die nicht nur ein Ort zum Wohnen und Arbeiten ist, sondern auch zum Leben. Und am passendsten ist für das Lernen über die Geschichte und die Architektur Eisenhüttenstadts daher wohl das Museum „Utopie und Alltag“, das auch das tägliche Leben in Eisenhüttenstadt und der DDR thematisiert. Und überhaupt: Eisenhüttenstadt kann man buchstäblich er-fahren, denn an der Touri-Info gibt es einen Fahrradverleih. Eine kleine Radelei durch die Wohnkomplexe 1 bis 3 ist durchaus beeindruckend: Der Weg führt durch Innenhöfe und viel Grün, vorbei an Kunstwerken und dem einen oder anderen Prunkbau aus der Zeit, als es den sozialistischen Klassizismus noch gab. Ein kleines Video gibt es auf dem coolen Kanal von Unterwegszeilen auf YouTube:
So rein subjektiv (denn so etwas ist immer subjektiv) hatte ich den Eindruck, dass in Eisenhüttenstadt etwas in Bewegung ist, dass man irgendwie das Potenzial der Stadt (wieder?) erkennt. Zumindest, wenn man mit den Leuten spricht, denen man als Touri nunmal so über den Weg läuft. Und überhaupt: Mir fällt kein Ort ein, an dem die Menschen so freundlich und zugleich authentisch waren. Um es nordisch zu formulieren: Die Leute waren alle für einen Schnack zu haben, ohne aufdringlich oder unentspannt zu sein.
Das Wochenende in Eisenhüttenstadt hat mich doch irgendwie zum Nachdenken gebracht. Ich bin nun wirklich keine Stadtplanerin, aber trotzdem oder gerade deswegen kam ich hier irgendwie ins Grübeln: Was macht überhaupt eine Stadt aus? Hat sie bestimmte Funktionen, und falls ja, welche? Wodurch wird eine Stadt lebenswert? Sollte es auch anderswo mehr öffentliche Kunst geben? Und was können andere Städte von Eisenhüttenstadt lernen?
Ihr Lieben, wart ihr schonmal in Eisenhüttenstadt? Oder einer anderen Planstadt in Deutschland oder im Ausland? Erzählt gerne davon in den Kommentaren!
Eure sich nunmehr in einer ungeplanten Stadt aufhaltenden Charlotte