Oder: Was heißt das hier?
Liebe Leserschaft,
juhu, ihr seid in China! Ihr studiert mehr oder minder fleißig am lokalen Elfenbeinturm oder macht ein Praktikum oder einen Freiwilligendienst, lebt euch allmählich ein und es läuft ganz gut. Dann geschieht euch, was irgendwie geschehen muss und in aller Regel auch richtig schön ist: Die Eltern kündigen sich an. So ganz alleine würden sie ja nie nach China fahren („es ist ja doch eine andere Kultur“), aber jetzt wo das Kind im Reich der Mitte weilt, hat man durch dieses mindestens einen Anlass, mal dorthin zu fahren, wenn nicht gar einen Mensch gewordenen Kompass, der einen durch dieses potenziell überfordernde und doch faszinierende Land navigiert, von dem besagtes Kind ja so viel erzählt.
Ihr begleitet sie also durch alle Schritte der Visumsbeantragung, Hotelsuche, Flugbuchung und Planung der Reiseroute, und dann ist er da, der Tag X: Eltern ad portas. Holt sie am Flughafen ab, wenn es ihr erster Besuch ist. Und dann: Auf ins Abenteuer. („Was machen wir heute?“)
Ein paar Sachen immer parat halten
Es gibt ein paar Gegenstände, die ihr immer griffbereit haben solltet, um sie umsichtig den Eltern zu reichen, wenn sie sie brauchen (nicht erst, wenn sie danach fragen):
- Handdesinfektionsmittel („Das sind ja ganz andere Keime hier, Kind“)
- Taschentücher, v.a. für Toilettenbesuche – und erklärt ihnen mit ausreichend zeitlichem Vorlauf die Sache mit den Hockklos („Da falle ich vornüber“ – Tipp: unbedingt die ganze Fußsohle aufsetzen, nicht nur die Zehenspitzen, sonst geht die Stabilität verloren)
- Kleingeld, denn obwohl China generell ein sehr sicheres Land ist, solltet ihr vermeiden, dass eure Eltern mitten in einer Fußgängerzone mit ihren frisch umgetauschten Stapeln von Hundert-Yuan-Scheinen hantieren
- nur halb scherzhaft gemeint: Messer und Gabel. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, sollte für Restaurantbesuche immer je Elternteil ein Campingbesteck in der Handtasche haben, aber es genügt eigentlich, im Restaurant nach zwei Löffeln zu fragen. Sie werden dankbar sein.
Sich über den Ort informieren
Wofür interessieren sich eure Eltern? Geschichte, Kultur, Musik, Sprache? Versucht euch zu erinnern, was sie in eurer Kindheit auf euren Reisen besonders leidenschaftlich aus dem Baedeker vorgelesen haben, und recherchiert ein bisschen dazu. Welchen Hobbys gehen sie in der Heimat nach? Welche Chinanachrichten verfolgen sie genauer? Sie werden euch Fragen stellen. Wappnet euch.
Überhaupt könnte es sein, dass eure Eltern euch etwas auf den Zahn fühlen wollen, in verschiedener Hinsicht. Wie gut kennt sich das Kind mit China aus? Hat sein Chinesisch Fortschritte gemacht? Man sollte also, wie überhaupt bei jedem Elternbesuch, beim Herumführen eher auf Universitätsbibliotheken verweisen als auf Einrichtungen des lokalen Nachtlebens. („Und bist du hier auch manchmal?“)
Restaurantrecherche
Egal, was ihr und eure Eltern vorhaben, früher oder später werden sie hungrig werden. Beginnt also frühzeitig mit der Restaurantrecherche (v.a. in kulinarischen Wüsten wie Nanjing). Wichtig ist auch, zu erkunden, welche Gerichte sich für den deutschen/europäischen Gaumen eignen UND welche Gerichte für Besteckesser verzehrbar sind. Falls eure Eltern Stäbchenessen lernen möchten oder vielleicht auch schon ein bisschen können, behaltet das Niveau ihrer Skills in dieser Hinsicht auf jeden Fall im Hinterkopf – kann man ihnen schon den Wabbeltofu zumuten oder endet das nur in beschlabberten T-Shirts („Du hast nur drei mit!“) und Tischdecken?
Ein letzter Hinweis zum Essen: Meistens hausen Eltern in China in schicken Hotels, die morgens ein (halbwegs) westliches Frühstücksbuffet bieten. Das ist für Eltern ungeheuer wichtig. Egal wie experimentierfreudig sie tagsüber sein mögen, morgens ist ihr Magen noch im Europamodus und verlangt Kaffee und Toast. („Dass die morgens schon Nudelsuppe essen können!“– „Ja, und so geräuschvoll…“)
Ihr seid der Rettungsring
Versetzt euch in die Lage eurer Eltern: Je nach Reiseerfahrung fühlen sie sich wie in einem anderen Land, einem anderen Kontinent oder auf einem fremden Planeten irgendwo im Weltall. Glücklicherweise haben sie einen treuen Reiseleiter, Organisator, Dolmetscher und Besteckbeschaffer an ihrer Seite: euch. Also nehmt eure Aufgabe ernst.
Kümmert euch! Schickt zumindest am Anfang der Chinareise eure Eltern nicht alleine irgendwohin, es sei denn sie trauen sich das wirklich zu und auch euch scheint das Risiko gering.
Übersetzt/Dolmetscht für sie alles, was sie irgendwo lesen oder aufschnappen oder der zu ihnen gesagt wird, unabhängig von praktischer Relevanz. Sie fühlen sich dann irgendwie informierter, und informierte Eltern sind zufriedene Eltern.
Macht was sie wollen. Eure Eltern haben ganze Jahre ihres Lebens nur nach euch ausgerichtet, also tut ihnen diesen Chinagefallen. Mein Vater wollte sich in Kunming die verbleibenden Haare schneiden lassen („Bisschen reicht ja“) und in ein etwas ab vom Schuss liegendes Dorf fahren, um dort ein berühmtes Fossil anzugucken – macht man dann mit. Mütter äußern ihre Wünsche vielleicht nicht ganz so direkt, da muss man ein bisschen zwischen den Zeilen lesen. Möglicherweise möchten sie ein bisschen länger frühstücken, ein bisschen früher als vorgeschlagen zum Bahnhof aufbrechen oder brauchen diese eine Tasse westlichen Kaffee am Nachmittag. Oder sie möchten auch mal gar kein Programm haben und einfach ein bisschen spazieren oder Läden auskundschaften. Wenn sie eine Sehenswürdigkeit erwähnen, die „vielleicht ganz interessant“ sein könnte, muss man diese unbedingt auf das Programm setzen, deutlicher wird es eventuell nicht.
Organisation!
Eltern gehen Reisen in der Regel sehr systematisch an – ihre wilden Backpackerzeiten gehören der Vergangenheit an, sofern sie jemals stattfanden. „Wir gehen mal zum Bahnhof und gucken, wann die Züge fahren“ funktioniert mit Eltern nicht. In dieser Welt einer kryptischen Schrift, einer singenden Sprache und einer Bevölkerung frei von Berührungsängsten möchten sie Sicherheit, Stabilität und Zuverlässigkeit. Kauft die Tickets vorher und seid mit viel zeitlichem Vorlauf am Bahnhof.
Und überhaupt: Ihr erzählt bei Skype immer, wie ihr die Chinalage im Griff habt und sie sich keine Sorgen machen müssen, sei es wegen kleiner Verpeiltheiten oder größerer Schnitzer, und das gilt es nun zu beweisen. Also wisst, wie ihr in der Stadt X von A nach B kommt. Zu Fuß? Route kennen. Mit dem Bus? Nur wenn ihr ganz sicher seid, dass Linie und Richtung stimmen, China ist da manchmal sehr speziell. Mit der U-Bahn? Wählt eine Uhrzeit, zu der ihr nicht wie die Sardinen im Waggon steckt. Mit dem Taxi (bei Eltern sehr beliebt)? Erklärt dem Fahrer wasserdicht, wo es hingehen soll – mangels Sprachkenntnissen sind die übrigen Sinne der Eltern besonders geschärft, und sie erkennen Umwege ebenso wie Orientierungslosigkeit des Taxifahrers ziemlich schnell, wahrscheinlich vor euch.
Organisiertheit gilt natürlich nicht nur für die Transportmittel für Fern und Nah: Macht euch schlau über Sehenswürdigkeiten (Öffnungszeiten!!!), Entertainmentmöglichkeiten in Hotelnähe, die nächste Toilette (idealerweise zum Sitzen), eigentlich alles.
Lasst sie mal auf eigenen Beinen stehen
Doch dann! Lasst sie nach einer Weile langsam flügge werden, so sie dazu bereit sind, denn dann genießen sie ihren Chinaurlaub noch viel mehr. Stattet sie mit Stadtplänen aus, auf denen sie nachverfolgen können, wo sie sich gerade befinden und die sie ggf. auch einsetzen können, um selbstständig durch den Ort zu wandeln. Schreibt ihnen den Namen ihres Hotels oder einer Sehenswürdigkeit auf einen Zettel für das Taxi, mit dem sie dann selbstständig an den anvisierten Ort fahren. („Dass sich hier niemand anschnallt!“). Und erklärt ihnen viel, ohne dass es bevormundend oder angeberisch wird. Irgendwann siegt die Neugier über die Scheu und eure Eltern entwickeln sich zu alten Chinahasen. Bestes Beispiel: meine Mutter, die schon vier Mal in China war und mit wenig Sprachkenntnissen aber viel Freundlichkeit durch dieses Land tourt.
Ein letzter Tipp noch: Genießt es! Die Zeit mit Eltern in China ist immer eine schöne.
Ihr Lieben, was sind eure Strategien für Elternbesuche? Schreibt eine Nachricht oder einen Kommentar!
Eure ihre Eltern zu Chinaexperten ausbildende Charlotte (was auch immer das sein mag)
Cover Image über Pixabay