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Klischees über chinesische Touris

Oder: Warum sie so sind, wie sie sind

Liebe Leserschaft,

beim jüngsten Familienfest im Saarland fragte mich ein Verwandter: „Warum sind chinesische Touristen eigentlich so…anders?“ Anders? Dieser Verwandte, wohlgemerkt ein weitgereister, polyglotter Mann, erklärte, dass er auf seinen diversen Tauchreisen auch unter Wasser erkenne, wer hier aus China stamme, „die haben jede nur erdenkliche Ausrüstung, egal ob man sie braucht oder nicht.“

Ich habe dann versucht, ein bisschen zu erklären, was es (meinem Eindruck nach) damit auf sich hat. Ein paar Gedanken dazu bilden unseren heutigen Blogtober-Eintrag.

Geld & Gesicht

Zuerst einmal ist es wichtig zu wissen, dass man in China recht wenig Urlaub im Jahr erhält, gleichzeitig aber einige Leute (relativ betrachtet natürlich immer noch eine Minderheit, wenngleich auch eine wachsende) doch über recht viel Geld verfügen. Wenn also der hart erarbeitete und unter Umständen auch hart erkämpfte, in jedem Fall wirklich verdiente Urlaub ansteht, muss alles passen. Zehn Länder in zwei Wochen? 15 Länder? Muss wohl sein, wer weiß, wann so eine Aktion das nächste Mal möglich ist.

Eine andere Sache, die überhaupt oft hilft, China zu verstehen, ist das Konzept des „Gesichtwahrens“, also das Bestreben, gesellschaftliches Ansehen zu erhalten und eben nicht irgendwie in Schande zu verfallen und so sein Gesicht zu verlieren. Wie das Gesicht nun entsteht, ist nicht ganz unkompliziert, aber es gibt so ein paar Faktoren: Geld, Bildungsabschlüsse, brave Kinder, Connections, dergleichen halt. Es ist etwas verworren und natürlich hochgradig abhängig von gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren, die man nicht immer so ganz durchschauen kann, und vielleicht auch nicht muss – sei einfach fleißig und mach, was alle machen. Natürlich gibt es Ausnahmen von diesem Gesichtskult (z.B. haben Studierende meist wenig Geld), die man auch keineswegs vergessen sollte, aber Gesichtswahrungsfans fahren nun mal gerne ins Ausland, denn die Landsleute zurück in China werden natürlich beeindruckt sein, wenn man nach Europa oder überhaupt in das Land jenseits der chinesischen Grenzen fährt. (Zu dieser Gesichtskultur könnte man echt mal einen eigenen Blogeintrag schreiben…)

Warum haben sie so viel Zeug?

Nicht nur tauchende Chinesinnen und Chinesen haben mitunter ziemlich viele Gadgets dabei, wenn es auf große Fahrt geht. Meistens handelt es sich um Fotoausrüstung oder auch um irgendwelche Kleidungsstücke.

Man muss verstehen, dass dies erstens Menschen sind, die ein nicht unbeachtliches Einkommen haben und die zweitens hart dafür gearbeitet haben, diesen Urlaub überhaupt machen zu können – da soll einem nicht irgendwelches unwirtliches Wetter einen Strich durch die Rechnung machen. Hinzukommt, dass einige von ihnen noch nicht so oft oder vielleicht auch gar nicht im Ausland waren (oder zumindest nicht in diesem speziellen Land), also gilt es umso mehr, vorbereitet zu sein. Halten wir uns mal selber den Spiegel vor: Sind „wir Deutschen“ da so anders? Auf eine meiner ersten Chinareisen habe ich einen Block und Bleistifte mitgeschleppt, um vor Ort festzustellen, dass es diese Artikel zu einem Bruchteil des deutschen Preises in Hülle und Fülle auf und um jedem chinesischen Unicampus gibt.

Jedenfalls hat sich auf diese Weise irgendwie eine Kultur der „Mega-Ausrüstung“ eingeschlichen, und viele mögen sich denken – wenn das alle haben, braucht man es ja vielleicht wirklich? Und zücken dann ihr Wechat Wallet, um auch ja nicht den Anschluss zu verlieren. Sicher ist sicher.

Schließlich noch gibt es in China seit Langem schon eine Kultur von „schlichtes Leben zu Hause, luxuriöses Leben auf Reisen“. Wieso? Ganz ehrlich: Es ist einfach so.

Warum fotografieren sie alles?

Zuerst mal: „Immer fotografieren Chinesen alles, was sie sehen“ stimmt einfach nicht.

Wer aber sein (kulturelles) Gesicht behalten will, muss sein (physisches) Gesicht in die Kamera halten. Und auch vieles fotografieren, was irgendwie interessant sein könnte, und es idealerweise gleich online verbreiten, damit alle sehen, wo man gerade ist. Was in unseren Augen als Angeberei erscheinen mag, ist in China nun einmal wichtig. Stellt euch vor, eure (wie ihr: nicht ganz armen) Freundinnen und Freunde erzählen von ihren Reisen ins Ausland, posten ständig irgendwelche Fotos und schenken euch nach ihrer Rückkehr jeden erdenklichen teuren und weniger teuren Killefit von ihrer großen Fahrt – kommt da nicht irgendwann Neid auf? Und wenn nicht Neid, dann doch vielleicht der Eindruck, dass man das halt so „macht“? Warum posten wir eigentlich Fotos von uns an Traumstränden oder auf Berggipfeln bei Facebook oder Instagram? Die Menge ist weniger, aber die Motivation mag gar nicht so unähnlich sein.

Es ist anstrengend, und ja, chinesische Touris empfinden Reisen auch oft als anstrengend. Hierzulande macht man Witze darüber, sich erstmal vom Urlaub erholen zu müssen, in China ist das die bittere Realität.

Warum benehmen sie sich nicht?

Stimmt so erstens auch nicht.

Berichte über chinesische Touristen, die sich unmöglich verhalten, gibt es zweitens zuhauf. Wenn man aber bedenkt, wie viele Chinesen sich mittlerweile in Europas Altstädten und Duty Free Shops tummeln, fällt schnell auf: Relativ betrachtet sind es doch sehr wenige, die keine Manieren haben. Und überhaupt – Manieren sind etwas Kulturelles, und was als höflich oder unhöflich empfunden wird, variiert stark. Ich habe mal in der Seouler U-Bahn ganz laut gelacht, Andere haben in Indien mit der linken Hand gegessen oder sich in Japan laut die Nase geschnäuzt – in Deutschland alles gang und gäbe, in den entsprechenden Kulturräumen aber unerhört. Wenn man nun zu jenen chinesischen Touris zählt, die noch nie das Land verlassen haben, macht es das nicht gerade einfacher.

Aber ich will auch nichts schönreden: Manches ist bewusst unhöflich. Menschen haben irgendwie die schlechte Angewohnheit, anzunehmen, dass ihnen im Ausland schon nichts passieren werde, dass es jenseits des Heimatlandes keine Konsequenzen gäbe, und das mag manchmal sogar auch stimmen. Touris aus Deutschland, England, Australien und wer weiß woher eint alle eins: Sie haben den Ruf, sich nicht benehmen zu können, und die aus China reihen sich nun hier ein, zwangsläufig.

Warum haben sie mal viel Geld, mal wenig?

Tja. Man kennt das Klischee: Chinesinnen und Chinesen fliegen für unfassbar viel Geld nach Europa, kaufen Unmengen Markenprodukte, sei es Kosmetik, Kleidung oder Haushaltsgegenstände, aber wenn dann die Toilette auf der Autobahnraststätte 50 Cent kostet, sind sie ganz fix im Gebüsch verschwunden. Die Leier von „die sind nicht alle so“ spare ich euch mal (das dürfte wohl mittlerweile deutlich geworden sin); schauen wir lieber, woher diese Vorstellung kommt.

Chinesische Reisende geben, wie oben schon geschrieben, auf ihren Auslandsreisen mitunter viel Geld aus. Natürlich ist die Ochsentour, auf der kaum Zeit zum Schlafen bleibt, an sich schon teuer, doch hinzu kommt noch, dass der Freundeskreis und die Verwandtschaft in China natürlich Souvenirs erwarten, und das soll selbstverständlich nur das Beste sein, wo bliebe denn sonst das Gesicht. Also muss die Kreditkarte gezückt werden. Und nochmal gezückt werden. Und nochmal. Dann noch Kram für das eigene Zuhause kaufen, falls Besuch da ist. Irgendwo zwischen Shoppingwahn und den bevorstehenden horrenden Kosten für das Übergepäck auf dem Rückflug kommt der Entschluss: Wir sparen, wo es nur geht. 50 Cent sind 50 Cent, aber das summiert sich, denn man wird sehr viel Zeit im Bus verbringen und entsprechend viele Raststätten anfahren.

Fazit

Kulturelle Angewohnheiten zu durchbrechen, ist ungeheuer schwer, egal woher man kommt. Aber! Weist, wenn ihr mögt, chinesische Touris (freundlich) darauf hin, wenn sie unhöflich sind, denn auch in China ist es eigentlich nicht in Ordnung, sich vorzudrängeln, Leute ungefragt zu fotografieren oder auf die Straße zu spucken (spätestens bei der Einnordung vor der Abreise wird ihnen das klargemacht worden sein). Eventuell werden sie euch nciht verstehen oder auch nur so tun (das Gesicht und so, wir hatten es), aber was ihr ihnen sagen wollt, wird auch ohne eine gemeinsame Sprache klar. Und urteilt nicht zu hart über sie, denn was sie gerade durchleben, ist in vielen Fällen wirklich purer Stress. Also lasst ihnen all ihre Gimmicks, mit denen sie durch alle Ecken der Welt touren, wahrscheinlich finden sie euch auch irgendwie „anders“.

Liebe Leserschaft, was meint ihr dazu? Was seht ihr ähnlich, was anders? Welche Erfahrungen habt ihr mit chinesischen Touris gemacht?

Eure entspannt reisende Charlotte

PS: Noch mehr zu Klischees über Chinesen findet ihr hier.

Cover Image von Pixabay

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