You are currently viewing Lieblingszeichen!

Lieblingszeichen!

Oder: Ein sechsbeiniger Bär

 

Liebe Leserschaft,

nachdem wir nun wissen, wie man chinesische Zeichen lernt, ist eine der logischen Folgefragen wohl: Entwickelt man irgendwann Lieblinszeichen? Zeichen, die man besonders gerne liest oder schreibt?

Kurz gesagt: Irgendwie hat man sie und irgendwie nicht – zumindest geht es mir so. Manche Zeichen mag ich wegen ihres Aufbaus gerne, manche wiederum, weil sie sehr angenehm zu schreiben sind. Und manche wiederum sind einfach etwas abgedreht. Ein richtiges Ranking kann ich hier nicht abgeben, aber hier mal eine kleine Liste.

Eins noch vorab: Ich habe die Schrift der Volksrepublik China gelernt, die auf der traditionellen, in Hongkong, Macao und Taiwan geschriebenen fußt, aber in vielen Fällen eine vereinfachte Form von dieser darstellt.

 

Piktogramme

Wie manche vielleicht wissen, sind einige (nicht alle!) chinesische Zeichen Piktogramme. Hier mal ein paar Beispiele:

Berg

Frau

Person

Baum, Holz

(kleiner) Wald, Hain

(großer Wald)

Auge

Mund

Sonne

Mond

Hand

Herz

Ohr

Feuer

Wasser

Tür, Tor

Piktogramme sind cool, doch erst in ihrer Kombination machen sie so richtig Spaß. Denn das System der Piktogramme stößt naturgemäß an seine Grenzen, wenn Nichtsichtbares dargestellt wird. Aber kein Problem:

Wie sagt man „ausruhen“? Ganz leicht, das ist ein Mensch 人 an einem Baum 木:

„Traurig“? Auch das ist leicht, es ist ein Herz 心 an einer Tür 门, die sich sozusagen schließt.

Oder fühlt ihr euch doch eher mal „melancholisch“? Ebenfalls leicht geschrieben. Oben sehen wir den Herbst (秋 – ebenfalls eine Zusammensetzung aus Getreide, 禾 und Feuer, 火 – vielleicht ein Getreide, das feuerrot wird, wenn es im Herbst geerntet wird?), unten wieder das Herz 心 – es wird also Herbst im Herzen:

Überhaupt: Das Herz, häufige Komponente von Zeichen, die die schönen und auch weniger schönen Gefühle darstellen. Es erscheint zum Beispiel im Zeichen für „beschäftigt“, links neben dem Zeichen für Tod 亡 – Burn-out in chinesischer Schrift sozusagen:

Aber Achtung: Ordnet man nun Herz 心 und Tod 亡 nicht neben- sondern übereinander an, so bedeutet es „vergessen“. Das Herz ist traditionell der Sitz des Denkens in China, und wenn ein Stückchen Wissen aus diesem verschwindet, ist es sozusagen gestorben:

Zeichen mit Geschichte

Natürlich gibt es auch kompliziertere Piktogramme, und eines der schönsten ist das Zeichen für Bär:

Seht ihr unten die vier Punkte? Das sind die Füße des Bären. Das Interessante an diesem Zeichen ist, dass es ursprünglich als 能 geschrieben wurde, also ein sich aufrichtender Bär, der seine Tatzen nach rechts ausstreckt, ohne die vier Punkte darunter. Dieses Zeichen wurde aber bald auch für das Verb „können“ verwendet, bis diese Bedeutung die des Bären zu verdrängen drohte. Um weiterhin Klarheit zu wahren, wurde das Zeichen für „Bär“ unten um vier Füße ergänzt – der Bär ist jetzt also sechsbeinig.

Stimmt diese Geschichte? Wer weiß. Ebenso interessant ist jedoch die Tatsache, dass die vier Striche im unteren Teil des Schriftzeichens eigentlich „Feuer“ bedeuten und daher in Zeichen wie „kochen“ 煮, „braten“ 煎 oder auch „heiß“ 热 anzutreffen sind.

Einer spannenden Entwicklung entstammen auch die Zeichen „schief“ und „nicht brauchen“:

歪 甭

Letzteres setzt sich, was logisch klingt, aus „nicht“ 不 und „brauchen“ 用übereinander zusammen, doch auch Ersteres besteht aus zwei Wörtern: „nicht“ 不 und „gerade“ 正, also schief. Diese Zeichen entstanden, als Chinesisch senkrecht geschrieben wurde – irgendwann verschmolzen sie einfach zu einem Zeichen und auch zu einer Silbe.

 

Striche, Striche, Striche

Naturgemäß cool sind selbstverständlich Zeichen mit vielen Strichen. Die meisten Striche besitzt ein Zeichen, das so kompliziert ist, dass es gar nicht per Unicode in einen Computer eingegeben werden kann: biang, was eine bestimmte Nudel aus Shaanxi bezeichnet. Die vereinfachte Version der VR China enthält allein 42 Striche, das traditionelle Langzeichen gar 57.

biang

 

„Fließende“ Zeichen

Noch viel subjektiver ist die Vorliebe, die manche zu bestimmten Zeichen empfinden, weil sie schön zu schreiben sind. Mögt ihr vielleicht die Rundheit des „O“s oder das Versehen kleiner „i“s mit Tüpfelchen? Auch beim Schreiben des Chinesischen hättet ihr dann Freude an manchen Zeichen, die euch leicht von der Hand gehen oder deren Schreiben sich irgendwie angenehm anfühlt.

Bei mir sind es, und ich weiß nicht, warum, Zeichen, deren verschiedene Komponenten am Ende durch einen Strich verbunden oder durchquert werden. Hier mal drei Beispiele: 电 (Blitz, heute auch Strom), 串 (aufreihen, z.B. Perlen auf einer Kette oder, und daher wichtiges Wort, Fleisch auf einem Spieß als Straßensnack) und 事 (Angelegenheit). Hier mal ein Video, bei dem dieser verbindende Strich rot ist, gefolgt von den jeweiligen Zeichen etwas schneller geschrieben, um zu verdeutlichen, wie besagter letzter Strich alles verbindet:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=VYXhP6hnQ_w&w=560&h=315]

Ebenfalls angenehm zu schreiben sind Zeichen, die mit einem geschwungenen Strich abschließen, wie 收 (erhalten) oder 文 (Kultur). Hier auch mal ein Video:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=13Gha3wFhdY&w=560&h=315]

Liebe Leserschaft, was sind eure Lieblingszeichen? Geht ihr dabei eher nach Ästhetik, nach Geschichte oder nach Bauchgefühl?

Eure schreibende Charlotte

 

Cover Image über Pixabay

 

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.