Oder: Auf einen Tee mit dem Wachmann
Liebe Leserschaft,
hier folgt Teil 3 der Lanping-Berichte, besser spät als nie. Ich weiß noch nicht so ganz, wie ausführlich die Berichte über die anderen Orte auf der Yunnan-Reise sein werden, da so langsam auch jede Aktualität verloren geht und ich, wie sollte es auch anders sein, noch ein paar Sachen für die Uni schreiben muss. Außerdem bin ich ziemlich erkältet und kuriere mich mit Tee und Mutterliebe in Sturmfestunderdverwachsen.
Doch zurück zu Lanping. Was gibt es hier außer Bier, Bergen und neuen Bekanntschaften? Laut Yunnan-Atlas findet sich hier noch ein Naturpark namens Xinshengqiao 新生桥。Es gäbe dort, verrät eine Internetrecherche mit dem störrischen Smartphone, eine ganz beachtliche Pflanzenvielfalt und sogar kleine Affen. Nichts wie hin! Eine Bus- und eine Taxifahrt später findet sich die ausländische Heldin an einer Weggabelung, deren rechte Straße, so der Taxifahrer, direkt zum Xinshengqiao führe. Dies bestätigt auch der Wachmann an der Schranke, die vor besagter Straße steht, und lässt die ausländische Heldin hinein.
Also tappt die ausländische Heldin diese Straße entlang, doch so richtig fühlt sie sich nicht wie in der Natur. Die Straße ist zu groß und viel zu befahren, als dass man irgendein Tier entdecken würde, befahren von Lastern, die irgendwie nach Baustelle aussehen. Es führen auch keine Pfade von der großen Straße ab, die Alternative wäre also der Gang durch das Gestrüpp, etwas, was mit dem mäßig ausgeprägten Orientierungssinn der ausländischen Heldin keine gute Idee ist (und zudem wahrscheinlich auch verboten, schließlich wachsen hier (theoretisch) seltene Pflanzen). Auf der einen Seite der Straße geht es steil nach oben, auf der anderen blickt man in ein kleines Tal, in dem ein paar Hütten stehen und wo sich eine Frau im Fluss die Haare wäscht, ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass es hier kein fließendes Wasser gibt. Andere Wanderer sind nicht zu sehen, dafür muss man regelmäßig den Baustellen-LKWs ausweichen. Tiere? Fehlanzeige.
Schließlich ist die ausländische Heldin bei der Baustelle angelangt, zu der die Laster in großer Zahl fahren, und beschließt, dass Xinshengqiao wohl einfach nichts war. Kein Wunder, dass die Dame an der Rezeption so verdutzt wirkte, als die ausländische Heldin nach dem Weg dorthin fragte. Also geht es die große Straße entlang zurück zu der Schranke mit dem netten Wachmann, der die ausländische Heldin leicht amüsiert grüßt und fragt, woher sie stamme und ob sie einen Tee möchte. Was soll’s, denkt sich die ausländische Heldin, Tee ist fein.
Der Wachmannheld scheint nicht den aufregendsten Arbeitsalltag zu erleben, er öffnet und schließt den ganzen Tag die Schranke für LKWs und Autos von Anwohnern und erklärt anderen Autofahrern, dass es sich um ein Naturschutzgebiet handele und sie deshalb nicht hineinfahren dürfen. Natur? Welche Natur? Die ausländische Heldin hat natürlich Unmengen Fragen. Der Wachmann gießt der ausländischen Heldin ein paar Teeblätter auf und erzählt ein bisschen. Wie es sich herausstellt, gibt es hier zwar Affen, mehrere Hundert sogar, allerdings die andere Straße hinauf, die zu erkunden die ausländische Heldin schlichtweg keine Lust mehr hat. Das Bauprojekt soll den Anwohnern fließendes Wasser aus dem durch Xinshengqiao fließenden Fluss bringen.
Natürlich hat auch der Wachmann sehr viele Fragen, und die ausländische Heldin erzählt ein bisschen von Deutschland, den Autos und dem Fußball, Antworten, die sie mittlerweile ganz gut abspulen kann, denn es sind immer die gleichen. Sie sitzen auf der Veranda des kleinen Wachhäuschens, die Sonne scheint und der Wachmann betätigt die Schranke. Er selber ist Bai und hat in Kunming studiert, an einer Uni, deren Namen die ausländische Studentin noch nie gehört hat – „studieren“ ist in China ein manchmal recht dehnbarer Begriff. Aber immerhin scheint er in Kunming halbwegs Mandarin gelernt zu haben. Der Wachmann gießt der ausländischen Heldin zum dritten oder vierten Mal die Teeblätter in ihrem Pappbecher auf, als diese einen kleinen Bus mit der Aufschritt Tongdian vorbeifahren sieht, der Stadt also, in der man in den Bus nach Lanping umsteigt. „Von wo fährt hier eigentlich der Bus nach Tongdian?“, fragt sie. „Da vorne…aber ich kenne sonst auch einen, der dich mitnehmen kann, wenn du magst.“ Die ausländische Heldin entschließt sich, ihrem siebten Sinn zu trauen, der Wachmann scheint ihr vertrauenswürdig. Also chillt sie noch ein bisschen auf der Veranda. Tongdian-Busse fahren vorbei, LKWs und Autos werden durch die Schranke hinein- und hinausgelassen, es wird heißes Wasser aufgegossen, die ausländische Heldin und der Wachmann sitzen Tee trinkend auf der Veranda. Eigentlich ganz gechillt, dieser Yunnan-Lifestyle. O-Ton:
Ausländische Heldin: Der Tee ist echt lecker! (schlürft ein bisschen aus ihrem Pappbecher, den der Wachmann ihr schon mehrmals nachgefüllt hat. Echt fein.)
Wachmann: Ja, der ist aus Yunnan, Tee wächst hier gut.
Ausländische Heldin: Ja, der Yunnan-Tee ist sehr bekannt.
Wachmann: Und das Wasser hier ist gut! Dieses Wasser stammt direkt aus dem Fluss hier.
Ausländische Heldin: Aus dem…Fluss? (blickt reflexartig in den Pappbecher)
Wachmann: Ja, aus dem Fluss! Das ist gesund. Wegen der Mineralien und so.
Ausländische Heldin: Aahh…ja. (Es ist jetzt irgendwie auch egal)
Irgendwann erhält der Wachmann einen Anruf, er muss sich jetzt irgendwo um irgendwas kümmern, weshalb er, allerdings keineswegs überstürzt, seinen Tee ausschlürft und gemessenen Schrittes irgendwo im Wald verschwindet, nicht ohne zuvor seinen Kollegen zu informieren, der anscheinend in der Wachbude geschlafen hat. Besagter Kollege trägt keine Uniform und spricht leider auch kein Mandarin, was das Gespräch durchaus erschwert und zu mehr Teekonsum führt. So allmählich müsste die ausländische Heldin auch mal austreten, wie man so schön sagt (denn der Tee macht sich langsam bemerkbar), doch unauffälliges Spähen in die Hütte ergibt: Wahrscheinlich muss man sich einen größeren Strauch außerhalb suchen. Das Bauprojekt für fließendes Wasser ist ja immer noch nicht abgeschlossen.
Das Gespräch wird langsam schleppend, doch da hält der Kollege an der Schranke ein herausfahrendes Auto an, dessen Fahrer er gut zu kennen scheint, dann winkt er die ausländische Heldin herüber und bedeutet ihr mit Händen und zu Füßen, einzusteigen. Die ausländische Heldin dankt mit Händen und Füßen zurück und stellt freudig fest, dass der Fahrer, ein lustiger, leicht pummeliger Mann, genug Mandarin spricht, um etwas Smalltalk zu betreiben. Während sie also durch die hübsche Landschaft um Lanping fahren, reden sie ein bisschen über dieses und jenes. Der Fahrer stammt aus Lanping und ist wie der Wachmann Bai. Im Auto hängt eine tibetische Gebetsfahne, diese strenge Grenzziehung der ethnischen Gruppen Yunnans existiert letztlich doch nur auf dem Papier. (Wenn man sich die Fernstraßen in diesem Teil Yunnans mal so vor Augen führt, ist einem ohnehin jede Religion recht, irgendein höheres Wesen wird einem bei den Fahrten durch die Schluchten schon beistehen). Jedenfalls ist er professioneller Fahrer für Touristen, meist weiter in den Norden nach Nujiang mit seinen steilen Tälern und abenteuerlichen Klippen, wo so ganz langsam Tourismus zu beobachten ist – gut oder schlecht? Keine Ahnung. Zum zweiten Nationalpark aus dem Yunnan-Atlas könnte er die ausländische Heldin auch fahren, so als Tagesausflug, doch der Preis lässt die Ausländerin mit ihren heldenhaften Ohren schlackern. Sie hat nicht den Eindruck, dass der Fahrer sie über den Tisch ziehen möchte, es sind hin und zurück immerhin jeweils mehrere Stunden Fahrt. In dem Auto des Fahrers wäre noch Platz für diverse andere Reisende und wenn man den Preis mit den hypothetischen Freunden der ausländischen Heldin teilen würde, wäre er gar nicht mehr so unerschwinglich. Aber so muss sie dankend ablehnen. Einer der Nachteile des Reisens alleine: Vieles ist teurer, einfach weil man es nicht aufteilen kann (dazu noch mehr im Bericht über den Lugu-See, der…irgendwann…noch folgt).
Der Fahrer jedenfalls hat Verständnis für die finanzielle Lage der ausländischen Heldin, spätestens nachdem er gehört hat, in welchem Hotel sie in Lanping nächtigt. Er möchte auch keine Bezahlung für die Fahrt von Xinshengqiao. Allzu viel Zeit für Diskussionen hierüber bleibt auch nicht, denn nach der Ankunft am gammeligen Lanpinger Hotel muss die ausländische Heldin ganz, ganz schnell in das Bad in ihrem Zimmer, denn der Tee macht sich mittlerweile mehr als bemerkbar.
Als das erledigt ist, sind wieder Grübeleien angesagt, über ein neues Spannungsfeld der wirtschaftlichen Entwicklung: Wie um alles in der Welt schützt man in dem ganzen noch die Umwelt? In Xinshengqiao leben seltene Affen, aber den Wunsch der Bewohner des Dorfes nach fließendem Wasser kann man auch irgendwie nachvollziehen. Mal ganz zu schweigen von Millionen Menschen in Yunnan, die alljährlich dank irgendwelcher Dürreperioden kein Wasser im Wasserhahn entdecken. Vom Transport mal ganz zu schweigen. Gäbe es größere Straßen, gäbe es auch mehr Möglichkeiten, von A nach B zu kommen – oder? Mehr Möglichkeiten, von A nach B zu kommen, würde mehr Transport von Waren bedeuten – oder? Ist also größere Straße = größerer wirtschaftlicher Wohlstand? Ist es echt so simpel? Es stellt sich die Frage danach, wo es klemmt. Und was mit der Natur geschieht, wenn man Straßen mitten in sie hinein baut. Einer der Gründe, warum das Eisenbahnnetz in Yunnan so langsam wächst, ist der Naturschutz. Über China und die Umwelt kann man natürlich viel sagen, aber in Yunnan scheint Artenschutz zumindest ein Konzept zu sein, mit dem man arbeitet. Eine neue Autobahn ist natürlich schlecht für die Umwelt, aber eine komplette Eisenbahn noch viel mehr. Wobei ein Zug andererseits natürlich weniger CO2 ausstößt als ein Auto oder ein Bus… schwer zu lösen, das Ganze. Aber nichts zu tun, ist wohl auch keine Lösung, denn wer in einem Dorf geboren und aufgewachsen ist, das seinen Bewohnern keinerlei Straßenanschluss bietet, wird dieses Dorf nie verlassen. Wenn man nun bedenkt, dass dieses Dorf vielleicht sehr arm ist, oder dass die nächste Grundschule vielleicht eine ganze Ecke entfernt ist, dann erscheint eine Straße als gar nicht so übel. Wer weiß.
Abends trifft sich unsere ausländische Heldin noch mit Li und berichtet von ihrem kleinen Ausflug nach Xinshengqiao. Und dann heißt es Abschied nehmen, denn am nächsten Tag wird die ausländische Heldin ihr Rücksäckchen packen (naja… „packen“) und sich wieder auf den Weg machen. Das nächste Ziel ist Lijiang 丽江, eine Stadt, die in den letzten paar Jahren für ihre Kommerzialisierung bekannt geworden ist, aber so der komplette Mangel an Infrastruktur für Reisende, wie ihn Lanping (abgesehen von gammeligen Hotels) aufweist, ist auf Dauer auch nicht gerade ideal. Und so ist Lijiang wohl doch einen kleinen Blick wert.
Der Bedarf nach Tapetenwechsel, er bleibt ungestillt. Also: Weiter!
Liebe Leserschaft, danke für eure Geduld bei diesen diversen Yunnan-Berichten. Es sind mittlerweile mehrere Monate vergangen, aber ich möchte euch halbwegs detailliert an den Erlebnissen teilhaben lassen. Im Bus von Lanping nach Lijiang habe ich ein gewisse Zhao kennen gelernt, die erstens Lisu ist (ein Bergvolk des Himalaya) und zweitens einen ungewöhnlichen und nicht ganz unumstrittenen Beruf ergriffen hat: Sie macht Werbung für Schönheitsoperationen. Doch dazu im nächsten Beitrag mehr.
Eure niesende, aus deutschem Leitungswasser gekochten Tee schlürfende Charlotte