Oder: Letzte Station auf der Nordkoreareise
Liebe Leserschaft,
der folgende Blogeintrag entstand über einen ziemlich langen Zeitraum hinweg, seine ersten Zeilen tippten sich an einem zugigen Flughafen in Nanjing, dann wurde er gaaaaanz langsam auf der Weiterreise nach Deutschland weitergeschrieben, ruhte dann völlig, während ich ein wenig Zeit in der alten Heimat verbrachte, erfuhr dann eine Wiederaufnahme seines Verfassens an einem viel zu warmen Flughafen in München und erhält nun seine letzten Zielen in Kunming.
Er handelt von einer Stadt namens Hoechang in Nordkorea. Also:
Im Koreakrieg (1950-53) unterstützte die noch sehr junge Volksrepublik China den Norden Koreas gegen den Süden, der wiederum von den USA, Kanada, einigen europäischen Staaten sowie den Vereinten Nationen Hilfe erhielt. Offiziell handelte es sich um die sogenannte „Freiwilligenarmee“ und nicht um Truppen der regulären chinesischen Armee (der Volksbefreiungsarmee), da man keinen offiziellen Krieg gegen die USA wollte.
Besagte Freiwilligenarmee hatte ihr Hauptquartier in Hoechang, einem Ort, den man heute auch besichtigen kann. Das Hauptquartier ist tatsächlich ein Bunker mit einem Tunnel, welcher wiederum später nach „on-spot guidance“, wie die nordkoreanischen Guides es immer so schön formulieren, durch Kim Il-Sung noch ein ordentliches Stück verlängert wurde; warum, erschloss sich mir nie so ganz, aber gut. (Eine zukünftige erneute Nutzung als Bunker erscheint mir so ziemlich ausgeschlossen, wenn man sich dieses Teil ansieht). Man geht also durch den ersten Tunnel und gelangt dann zu einem zweiten Tunnel, der dann wiederum in den Bunker führt, einen schlichten Raum mit ein paar Möbeln und Fotos von Kim Il-Sung.
Außerdem gibt es in Hoechang den Märtyrerfriedhof für die im Koreakrieg gefallenen chinesischen Soldaten zu besichtigen, die jeder einen Grabhügel erhalten haben, darunter auch einige namenlose. Der Friedhof umfasst aber nur einen Bruchteil aller Gefallenen: 130. Prominentester Märtyrer dürfte Mao Anying 毛岸英sein, dessen Vater niemand Geringeres als Mao Zedong war. Er wird hier mit einem größeren Grabhügel und einer Statue geehrt. Mao Anying war Russischdolmetscher im Koreakrieg und starb, als er sich (gegen Vorschriften des chinesischen Militärs verstoßend) in Hoechang ein Mittagessen kochte und von einer Bombe getroffen wurde. Ungeklärt ist, ob sein Körper je nach China zurücktransportiert wurde oder ob er weiterhin in Hoechang unter besagtem Grabmal begraben liegt.
Wenn man jetzt mal ehrlich ist, ist der eigentliche Ort Hoechang eher so mittelinteressant. Viel interessanter waren eigentlich drei Merkmale der Fahrt dorthin.
Erstens. Wir waren (angeblich) die erste westliche Reisegruppe, die Hoechang besuchte. Deshalb gesellte sich zu unseren nordkoreanischen Guides Ms. Kim und Mr. Lee noch ein gewisser Mr. Ju, der eine Art Chef der beiden darzustellen schien (Die Hierarchie war für Außenstehende etwas schwer auszumachen, aber er wurde uns als ein relativ hohes Tier von KITC, der staatlichen Tourismusbehörde also, vorgestellt) – alle wie immer freundlich, unaufdringlich und interessiert am Leben im Ausland, das sie alle schon einmal besucht haben, wodurch ihre Neugier jedoch nicht so recht gestillt wurde. Ab und an geben sie Propaganda von sich, ohne wirklich darauf zu achten, wer überhaupt zuhört und ohne Folgefragen zu stellen. Ms. Kim redet ansonsten über Disneyfilme, an die sie auf irgendwelchen Wegen gekommen sein muss, Mr. Lee berichtet vom Sport, Mr. Ju erzählt von seinen Kindern. Vielleicht, könnte man denken, ist es letztlich auch nur ein Job. Keine Ahnung.
Hoechang war wohl bis vor Kurzem ausschließlich eine chinesischen Reisegruppen offen stehende Stadt, aber nun kommen auch westliche Gruppen. Die Dame, die uns durch das ehemalige chinesische Hauptquartier in Hoechang führte, wirkt angenehm unbeeindruckt von den westlichen Touris, als sie ihren koreanischen Text aufsagt, den hier wohl jeder zu hören bekommt und der von Mr. Lee übersetzt wird, während er sich gleichzeitig eifrig Notizen zu diesem Ort macht. Mr. Ju wirkt etwas nervös, vielleicht machen wir auch keine allzu gute Figur, es ist Tag fünf der Reise und die meisten leiden unter leichtem Schlafmangel. Und so gaaaanz geöffnet für westliche Reisende scheint Hoechang dann doch nicht zu sein: Im Restaurant bekommen wir zwar Getränke, ansonsten aber ein Lunchpaket, während einige Tische weiter ein Festgelage chinesischer Touris stattfindet, die uns später umständlich und leicht beschwipst mitteilen, wie geehrt sie sich fühlen, dass westliche Reisende an diesen für die chinesische Geschichte wichtigen Ort fahren. (Der Koreakrieg ist auch in chinesischer Propaganda von nicht geringer Bedeutung, da er den ersten Krieg der neu gegründeten Volksrepublik darstellt und da in diesem Krieg die Freiwilligenarmee dem Süden und den USA (relativ) erfolgreich die Stirn bieten konnte.)
Zweitens. Ebenso bemerkenswert an dieser Fahrt war die Umgebung, in der sie stattfand, eine Umgebung, die v.a. Mr. Ju Sorgenfalten in die Stirn trieb. Denn einerseits sahen wir auf der (ziemlich langen) Busfahrt nach Hoechang ländliches Idyll, Bauern auf Fahrrädern, Menschen, die ohne jede Maschine Felder bestellen. Es wirkte eigentlich ganz friedlich. Doch andererseits sah man auch arbeitende Kinder und abgemagerte Alte. In einem Versuch der Schadensbegrenzung werden wir gebeten, keine Menschen in den Feldern zu photographieren. Der einen Hälfte der Gruppe wäre das ohnehin nicht in den Sinn gekommen, die andere Hälfte macht es trotzdem heimlich und wird nicht weiter kontrolliert oder ermahnt. Vielleicht hatten die guides auch einfach aufgegeben.
Drittens, heiterer: Ein weiteres unvergessliches Ergebnis der Fahrt nach Hoechang war das Projekt „Wir finden den Weg“. Auch der Busfahrer war wohl noch nicht so häufig in Hoechang gewesen, weshalb wir uns auf der Hinfahrt gründlich verfuhren, sehr zum Missfallen von Mr. Ju, denn so gab es noch mehr arme Menschen und nicht asphaltierte Straßen zu sehen. (Navis gibt es natürlich in Nordkorea nicht. Unser Bus hatte noch nichtmal einen funktionierenden Tacho, eine in Nordkorea ohnehin eher unnütze Anzeige, denn auf diesen Straßen kann man eigentlich gar nicht schnell fahren). Die Anreise dauerte also ziemlich lange. Auch auf dem Rückweg verfuhren wir uns und die Straße in diesem sehr ländlichen Gebiet Nordkoreas war so schmal, dass ein Wenden absolut ausgeschlossen war – An unserem Bus passte mit etwas Glück überhaupt ein Fahrrad vorbei. Die Falten in der Stirn Mr. Jus vertieften sich zusehends, woraufhin der Busfahrer (dessen Namen wir nie erfuhren) sich zu einem radikalen Schritt entschied, den Bus anhielt und das neben der Straße verlaufende ausgetrocknete Flussbett (in Nordkorea herrscht Dürre) sowie eine von der Straße abgehende, dieses Flussbett überquerende Brücke begutachtete – ziemlich klein, ziemlich niedrig. Er wird doch nicht etwa? Doch. Unser heldenhafter Busfahrer manövrierte den Bus auf die klitzekleine Brücke (glücklicherweise, wie alle Brücken dieser Gegend, ohne Geländer oder sonstigen Schnickschnack) und von dort ganz vorsichtig in das Flussbett, dem er dann bis zur nächsten Kreuzung folgte, wo er IRGENDWIE den Bus wieder auf die Straße beförderte und uns zurück nach Pjöngjang fuhr. Es war ziemlich abenteuerlich, denn besagtes Flussbett war keineswegs eben und der Bus schaukelte wirklich bedenklich. In diesem Moment fiel mir zweierlei auf: Die Mitglieder der Reisegruppe waren sehr ungleichmäßig im Bus verteilt (aber wer will denn der Sicherheitsfanatiker sein, der den Mitreisenden befiehlt, sich doch bitte gleichmäßig im Bus zu verteilen und nicht alle links zu sitzen?) und außerdem…keine Gurte. Da half nur hoffen, und der namenlose Busfahrer hatte die Lage dann auch ganz gut im Griff. Trotzdem war ich sehr froh, wieder auf diesem staubigen Schotterweg zu sein, der uns nach Pjöngjang brachte.
Der Rück- war deutlich flotter als der Hinweg und der Ausflug nach Hoechang dann auch vorbei. Und mit ihm die Nordkoreareise! Denn Hoechang war das letzte Ziel auf unserer Nordkoreareise, danach ging es nur noch per Zug oder Flugzeug zurück nach Peking.
Tja, und dann war die Reise vorbei. Kann man ein Fazit ziehen? Also erstmal: Wie bereits gesagt ist es eine lohnenswerte Reise für alle, die mal Nordkorea abseits der Nachrichten sehen möchten. Natürlich wird man auf Touren dieser Art nicht das „echte“ Nordkorea (gibt es das überhaupt?) sehen; was man aber durchaus zu Gesicht bekommt, ist die nordkoreanische Vorstellung von einem perfekten Staat, eine Illusion, eine Utopie, und das ist durchaus spannend (in all ihren Details, gerade Pyongyang ist da ein schönes Beispiel: Die Verkehrspolizistinnen sind mehr oder minder roboterartige Models, auf den Bürgersteigen stehen morgens kostümierte Hausfrauen und führen Tänze auf, die die Arbeiter aufbauen und ihre Produktion und Fleiß steigern sollen, usw.). Und man sieht die Normalität, Menschen, die Bus fahren, sich unterhalten, zusammen lachen.
Ein bisschen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein in diesem Land. Der Kalte Krieg, er tobt hier noch, zumindest auf den Propagandaplakaten. In dieser Welt, in der wie uns bewegen, wird ein sozialistisches Ideal verfolgt, für das sich eigentlich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs kein anderes Land der Welt mehr so richtig interessiert, auch China nicht. Ebenso absurd wird vor diesem Hintergrund aber das Normale: spielende Kinder, Menschen, die an den (jüngst in Pjöngjang legalisierten) Straßenständen Snacks kaufen, gemächlich in die Pedale tretende Radfahrer auf den von nur wenigen Autos befahrenen Straßen. Wie kann man in einem so schrecklichen Land mit einem so grausamen Herrscher so scheinbar unbeschwert leben? Wer nach Nordkorea fährt, wird mit vielen Fragen zurückkehren. (Fast) Alles, was man über dieses Land zu wissen glaubte, steht plötzlich auf dem Prüfstand, und die Kunst besteht wohl darin, Spreu vom Weizen zu trennen, also zu differenzieren zwischen Quatsch, den einem die nordkoreanische Propagandamaschine in Gestalt diverser guides weißzumachen versucht („Die amerikanischen Imperialisten haben Bomben mit Krankheitserregern über uns abgeworfen!“), Quatsch, den einem drittklassige westliche Websites verkaufen wollen („Die Passagiere der Pyongyanger Metro sind alle Schauspieler!“) und Aussagen von wem auch immer, die tatsächlich stimmen, denn es ist nicht immer so eindeutig wie in den beschriebenen Fällen. Wie immer im Leben muss man wohl versuchen, sich eine eigene Meinung zu bilden, auch wenn es, wie bei Nordkorea, sehr schwer ist. Eine Reise nach Nordkorea lässt einen mit den verschiedensten Eindrücken zurückkehren, viele davon neu und unerwartet, viele mehr oder weniger den Vorstellungen von vor der Reise entsprechend, aber v.a. viele davon miteinander im Widerspruch stehend und ab und an sogar etwas verwirrend. Man muss es wohl selber gesehen haben.
Hier geht’s zu noch mehr Bildern aus Hoechang.
Eure Tapetenwechsel mögende Charlotte