Oder: Immer schön lächeln
Oder: Wo ist eigentlich das Gepäck?
Ausländische Heldin: (hat soeben einen zehnstündigen, nicht immer ganz sanften Flug von Frankfurt nach Chengdu überstanden und ist froh, festen Boden unter ihren Füßen vorzufinden, auch wenn dies nur vorübergehend der Fall ist – ein Flug steht noch bevor, und zwar von Chengdu nach Nanjing. In Sturmfestunderdverwachsen wurde ihr versichert, dass ihre zwei (im Übrigen: sehr schweren) Koffer direkt nach Nanjing durchgehen würden. Das kommt ihr zunehmend komisch vor. Nach dem Zoll beschließt sie, doch nochmal irgendwo nachzufragen und entdeckt auch prompt einen Informationsschalter.) Nihao, ich bin gerade aus Frankfurt gekommen und steige hier um, kommt mein Gepäck dann mit? (wedelt mit den Schnipseln vom luggage tag, auf denen Nanjing als Zielflughafen angegeben ist)
Informationsschalterdame 1: (mustert die Schnipsel) Ja, das Gepäck geht mit. Aber für die Boardkarte müssen sie nochmal zum Umsteigeschalter, der ist unten, da kümmert man sich um solche Sachen. Einfach die Rolltreppe da runter und dann links halten.
Ausländische Heldin: Danke. Dann suche ich den Mal. (Begibt sich die Rolltreppe hinunter, hält sich links, hält sich weiter links und landet schließlich in einer Sackgasse. Geht nochmal zurück. Auch nichts. Entdeckt eine Dame, die irgendwie beim Flughafen zu arbeiten scheint, auch wenn ihre genaue Funktion nicht so ganz offensichtlich ist.) Nihao, ich suche den Umsteigeschalter, ist der hier?
Flughafendame: Den was?
Ausländische Heldin: Den…Umsteigeschalter?
Flughafendame: Sowas gibt’s hier nicht. Ist das ein Inlandsflug oder ein internationaler? Mit welcher Airline fliegen Sie überhaupt?
Ausländische Heldin: (müde) Äh, also, ich steige um von einem internationalen Flug zu einem Inlandsflug. Mit Air China. Nach Nanjing. (beginnt, das Gewicht ihres Handgepäcks zu spüren – wie immer viel zu schwer. Bloß nichts anmerken lassen, nicht dass hier noch jemand auf die Idee kommt, das Ding zu wiegen.)
Flughafendame: Ah, da müssen Sie zum Terminal 2. Einfach hier die Rolltreppe hoch, durch die Halle und dann bei Ausgang 8 raus, da müssen Sie nochmal kurz rechts und dann fährt da so ein weißer Bus. Das ist das Shuttle zwischen Terminal 1 und 2. Da ist dann der Schalter von Air China.
Ausländische Heldin: Ok, also Ausgang 8…
Flughafendame: …Weißer Bus.
Ausländische Heldin: Danke. (fährt wieder mit der Rolltreppe hoch, durchquert die Halle, lächelt dabei die Informationsschalterdame an und findet neben Ausgang 8 schließlich einen kleinen weißen Bus, der sie zu Terminal 2 fährt. Steigt hier aus, irrt wieder in einer Abflugshalle umher, bis sie einen Informationsschalter entdeckt.) Nihao, ich habe mal eine Frage, ich bin gerade aus Frankfurt gekommen und fliege jetzt mit Air China nach Nanjing. Wo bekomme ich meine Boardkarte her?
Informationsschalterdame 2: Ah, da müssen Sie zum normalen Checkin von Air China, der ist da vorne in den Gängen P bis U.
Ausländische Heldin: Ah ja, und mein Gepäck geht aber durch, oder? (wedelt wieder mit den Schnipseln)
Informationsschalterdame 2: (mustert die Schnipsel) Ja, das geht durch.
Ausländische Heldin: Danke. (begibt sich zu Gang P bis U, die durch große Schilder ausgezeichnet sind. Langsam wird ihr viel zu schweres Handgepäck tatsächlich zu einer Last. Warum kommt sie auch immer auf die Idee, eine halbe Bibliothek mit nach China zu schleppen? Vom aufgegebenen Gepäck mal ganz zu schweigen. Der Lufthansaherr vom Check-in in Sturmfestunderdverwachsen war da durchaus kulant. Gut, dass das nach Nanjing durchgeht… Hoffentlich. Wartet ziemlich lange in der Schlange vor dem Check-in-Schalter. Ist schließlich, ENDLICH!, an der Reihe.)
Air-China-Mitarbeiterin 1: (gähnt, es ist früh am Morgen) Nihao, wohin möchten Sie?
Ausländische Heldin: Nihao, nach Nanjing. (gähnt ebenfalls und überreicht der Dame am Schalter ihren Pass. Hofft, dass ihr Leiden unter ihrem irgendwie immer schwerer werdenden Rucksack nicht allzu offensichtlich ist. Beginnt, darunter etwas zu schwitzen.)
Air-China-Mitarbeiterin 1: (Tippt in ihrem Computer rum. Runzelt die Stirn. Tippt schneller.)
Air-China-Aufseherin[1]: (schlendert vorbei) Frag‘ sie mal, wo sie hinwill.
Air-China-Mitarbeiterin 1: Hab ich, nach Nanjing. (zur ausländischen Heldin) Wo ist Ihr Gepäck?
Ausländische Heldin: (schläfrig-verpeilt) Ähm, das geht nach Nanjing durch, wurde mir zumindest in Hannover gesagt. Also in Deutschland. Also eigentlich steige ich hier nur um. (hofft, verstanden zu werden).
Air-China-Mitarbeiterin 1: Sie steigen hier um?
Ausländische Heldin: Ja, und mir wurde gesagt, dass mein Gepäck von Deutschland nach Nanjing durchgeht, ist das richtig? (wedelt mit den Schnipseln)
Air-China-Mitarbeiterin 1: (mustert die Schnipsel) Ähm…Moment. (wendet sich an die Aufseherin. Es folgt ein langes Gespräch zwischen beiden).
Air-China-Aufseherin: Nihao, wo möchten Sie hin?
Ausländische Heldin: Nach Nanjing. (Gut, dass sie viel Zeit zum Umsteigen hat).
Air-China-Aufseherin: (tippt nun auch in dem Computer) Nein, also, Sie müssen hier in Chengdu ihr Gepäck aufnehmen, durch den Zoll und dann nochmal aufgeben. So ist das doch immer.
Ausländische Heldin: (kann Letzteres aus Erfahrung durchaus bestätigen, wird aber bei dem Gedanken, zurückzufahren und zu –latschen und sich irgendwie zurück durch den Zoll, über dem ein großes Schild mit „One Way Exit“ prangt, zu schmuggeln (ha! die Ironie), sich mit ihrem viel zu schweren Gepäck zu beladen und den ganzen Weg zurück zu kommen, von großer Demotivation befallen) Äääh…aber hier steht… (wedelt schwach mit den Schnipseln)
Air-China-Aufseherin: (mustert die Schnipsel) Nein, es tut mir Leid, aber das stimmt leider nicht. Sie müssen das hier abholen und durch den Zoll bringen. (wechselt für diese begriffsstutzige Ausländerin die Sprache) YOU NEED TO GO PICK UP YOUR LUGGAE AND GO THROUGH CUSTOMS.
Ausländische Heldin: OOOOOOOKAY AND HOW DO I GET THERE?
Air-China-Aufseherin: IT’S EASY, YOU GO OUT HERE, TAKE THE WHITE BUS BACK TO TERMINAL 1, TAKE THE ESCALATOR DOWNSTAIRS AND JUST FIND THE EXIT YOU CAME FROM.
Ausländische Heldin: SO HOW DO I GET BACK IN THERE?
Air-China-Aufseherin: OH. (grübelt) PLEASE WAIT A MOMENT![2] (wählt auf dem Telefon des Check-in-Schalters eine Nummer) Wei? Ja, hier ist eine Reisende, die gerade aus Frankfurt gekommen ist und vergessen hat, ihr Gepäck aufzunehmen. … Ja… Ja. Nein, sie hat das nicht abgeholt, sie ist schon hier beim Check-in. … Ok. Ja, sage ich ihr. Byebye. (legt auf) OK,SO YOU GO OUT HERE, TAKE THE WHITE BUS, GO DOWNSTAIRS BY ESCALATOR, AND THEN YOU GO TO EXIT NUMBER 1. (halt für die begriffsstutzige Ausländerin einen ausgestreckten Finger vor deren Nase) THERE YOU NEED TO FIND THE DUTY MANAGER, AND HE’LL TELL YOU WHERE TO FIND YOUR LUGGAGE. (lächelt auf eine „Das war’sjetzt”-Art und Weise.)
Air-China-Mitarbeiterin 1: (fängt nebenher schonmal an, die sich hinter der ausländischen Heldin stauenden Passagiere abzufertigen. Mahnt den ersten Herrn, der ansteht, sich schleunigst zum Gate zu begeben, das Check-in für diesen Flug habe eigentlich schon geschlossen. Dies ruft bei der ausländischen Heldin ein ziemlich schlechtes Gewissen hervor, hoffentlich verpasst dieser Mensch nicht ihretwegen seinen Flug. Kann ja keiner ahnen, dass heute verpeilte Ausländer unterwegs sind. Oder naja, vielleicht irgendwie doch.)
Ausländische Heldin: THE DUTY MANAGER? UM…WHERE EXACTLY IS HE?
Air-China-Aufseherin: EXIT 1. (halt einen Finger hoch)
Ausländische Heldin: EXIT 1. OKAY. THANKS. (es hilft alles nichts: Irgendwo wird dieser Mensch schon sein.) SORRY FOR THE INCONVENIENCE. (schleppt sich zurück durch die Abflugshalle von Terminal 2, lächelt die Dame am Informationsschalter 2 an, lächelt ebenso den Fahrer des weißen Busses an und steigt ein, froh, ihr nicht so ganz handliches Handgepäck kurz abzuladen. Lässt sich zurück zu Terminal 1 fahren, wo sie die Abflugshalle durchquert, die Informationsschalterdame 1 anlächelt, die Rolltreppe hinunterfährt, die Flughafendame anlächelt und den berühmten Exit 1 findet. Nein, ein duty manager ist nicht zu sehen. Linst verstohlen
hinter den Sichtschutz und erblickt eine Dame.) Nihao, ähm, also….ich habe mein Gepäck…(wählt die einfachste Erklärung) vergessen und…würde es jetzt gerne noch abholen.
Sichtschutzdame: (scheint im Bilde zu sein – wen hat die Air-China-Aufseherin eigentlich angerufen?) Ah ja, genau. Zeig mir mal deinen Pass.
Ausländische Heldin: (überreicht den Pass und wartet, während die Sichtschutzdame diesen mehr oder weniger fachmännisch durchblättert)
Sichtschutzdame: Ok, alles klar, dann geh‘ mal rein.
Ausländische Heldin: Danke. (Verschwindet ganz fix, bevor jemand bemerkt, wie einfach es war. Bemüht sich um eine selbstverständliche Miene, als sie zurück durch den Zoll geht. Irrt dennoch kurz eine Weile durch die Gepäckausgabehalle umher, bis sie in einer Ecke einen Berg Gepäck findet, das anscheinend nicht abgeholt wurde, und ist sehr erleichtert, ihre zwei Monsterkoffer dort zu entdecken – ohne die wäre der Aufenthalt in Nanjing schwierig geworden, gelinde gesagt. Erspäht in einem Zimmer, nein, eher einer Bude daneben einen Mann, der der duty manager zu sein scheint.) Nihao, ich habe meine Koffer…vergessen abzuholen und…
Potenzieller Duty Manager: (macht ein grunzendes Geräusch und dazu eine Handbewegung, die wahrscheinlich „Bedien‘ dich“ bedeutet.)
Ausländische Studentin: (ist selber Morgenmuffel und empfindet irgendwie eine gewisse Solidarität mit dem Potenziellen Duty Manager. Grunzt also zurück, hievt ihre zwei Koffer auf ein Gepäckwägelchen und bugsiert diese zum Zoll. Lädt diese dortselbst dort wieder ab, schafft sie auf das Durchleuchteband, lächelt die zwei Zollbeamten, die sie zum nunmehr dritten Mal sieht, an, muss das Gepäck glücklicherweise nicht öffnen, hievt es zurück auf das Gepäckwägelchen und karrt es vorbei an der Sichtschutzdame. Lächelt diese natürlich an, doch erhält als Reaktion große Verwunderung darüber, wie man zwei offensichtlich so schwere und voluminöse Koffer „vergessen“ kann. Karrt alles weiter bis zur Rolltreppe, lächelt die Flughafendame an, lädt die Monsterkoffer ab und überreicht das Wägelchen dem Gepäckwägelchenabholherrn, der plötzlich aus dem Nichts erscheint. Sammelt ihre psychischen und physischen Kräfte und befördert die zwei Koffer und sich selber irgendwie auf die Rolltreppe und – noch schwieriger – wieder herunter. Zieht einen Koffer links, einen rechts, und durchquert so ganz, ganz langsam die Abholhalle von Terminal 1. Lächelt die Informationsschalterdame 1 an, ehe sie an Ausgang 8 den weißen Bus besteigt und nimmt das Angebot eines Mannes, einen der Monsterkoffer in den weißen Bus zu befördern, dankend an.[3] Lächelt auch den Busfahrer an. Beginnt langsam, aber sicher, echt zu schwitzen. An Terminal 2 angekommen, bugsiert sie die Monsterkoffer irgendwie wieder aus dem Bus heraus, erkämpft sich ein Gepäckwägelchen und schiebt es gefühlt zentimeterweise durch die Abflughalle des Terminal 2, muss es dort jedoch wieder abgeben. Lächelt die Informationsschalterdame 2 an. Arbeitet sich zu den Gängen P bis U vor, doch siehe da – die zwei Damen von Air China sind nicht mehr zu entdecken, anscheinend hat ein Schichtwechsel stattgefunden. Stellt sich also an einer anderen Schlange an und setzt trotz mittlerweile nicht mehr zu vernachlässigender Verschwitztheit und des viel zu schweren, mittlerweile quälenden Handgepäcks eine unschuldige Miene auf und hofft, dass es funktioniert. Ist schließlich, ENDLICH!, an der Reihe.) Nihao, ich….ich habe schon mein Gepäck und brauche noch die Boardkarte. (hofft, dass das irgendeinen Sinn ergibt, bis sie merkt, dass dies dem Normalfall entspricht. Überreicht ihren Pass und bugsiert den ersten, nicht ganz so schweren Koffer auf die Waage.)
Air-China-Mitarbeiterin 2: Nihao, wohin fliegen Sie?
Ausländische Heldin: Nach…(wohin nochmal?) Nach Nanjing.
Air-China-Mitarbeiterin 2: (Tippt im Computer) Ah ja. (würdigt die Anzeige der Waage keines Blickes und bringt einen luggage tag am Koffer an. Wiederholt den Vorgang auch für den zweiten, noch schwereren Monsterkoffer. Überreicht der ausländischen Heldin ihre Boardkarte.) Gute Reise. Der Nächste bitte!
Ausländische Heldin: (starrt die Air-China-Mitarbeiterin 2 fassungslos an. Wenn sie auch nur den blassesten Schimmer hätte, welches Drama sich zuvor um diese Koffer, oder
besser gesagt: um die Abwesenheit dieser Koffer, gesponnen hatte, hätte sie ihr gratuliert oder zumindest nicht so neutral gewirkt. Doch sie befindet sich in einem Zustand absoluter Ahnungslosigkeit. Die ausländische Heldin atmet einmal tief durch und zieht von dannen.)
[1] So etwas wie „Vorgesetzte“ trifft ihre Tätigkeit und v.a ihr Auftreten nicht so ganz.
[2] Der Lieblingssatz aller anglophilen chinesischen Servicemitarbeiter.
[3] Dass es sich um einen Monsterkoffer handelt, merkt der arme Mann erst, als er ihn anhebt – doch zu spät, das Angebot zurückzunehmen. Es tut mir leid!