Es werden an der KMUST Klausuren geschrieben, was man daran merkt, dass die Bibliothek schlagartig rappelvoll ist, auf dem Campus eine gewisse Geschäftigkeit eingesetzt hat und Studenten wie Dozenten mal mit ernsten, mal erleichterten Mienen durch die Flure der Gebäude eilen. Prüfungszeit, so weit, so deutsch-bekannt, doch ein Unterschied zu China existiert doch, und zwar erkennt man in China die Prüfungswochen auch eindeutig an diesen hübschen Aushängen. Jeder Person, die beim Spicken und Abschreiben, beim Schummeln und Mogeln erwischt wird, wird eine solche öffentlichen Bekanntmachung zuteil – je mehr Aushänge dieser Art in den Unis also anzutreffen sind, desto näher sind das Ende der Klausurenphase und der Beginn der Ferien. Achja, und neben diesem Plakat erhält jeder Klausurenschwindler, wenn es ganz schlecht läuft, auch einen Univerweis.
In China gibt es einen speziellen Beruf, nämlich den Klausurenaufseher. Was er den Rest des Semesters über betreibt, weiß ich nicht, aber Konjunktur erlebt er zweimal im Jahr in den zwei Wochen vor den Semesterferien. Seine Aufgabe besteht darin, mit Argusaugen über die Prüflinge zu wachen und jedes verdächtige Verhalten genauestens zu beobachten. Außerdem dreht er gemessenen Schrittes auf den knarrenden Planken des Hörsaalbodens seine Runden und schaut Prüflingen rein routinemäßig über die Schulter, was sie so zu Papier bringen. Zu guter Letzt erinnert er die versammelte Mannschaft daran, doch bitte Namen und Matrikelnummer auf alle Zettel zu schreiben, sich die Zeit gut einzuteilen, auch ganz bestimmt das Handy wegzupacken und dergleichen. Wiederholt.
Überhaupt sind die Klausuren hier um einiges strenger, als ich es aus Deutschland kenne. Neben den Klausurenaufsehern gibt es dann noch die sogenannte Sitznummer, denn in Klausuren sitzt der Chinese natürlich nicht einfach irgendwo. Es vergeht immer eine ganze Weile, bis alle ihren Platz gefunden haben, denn die Stühle sind nicht nummeriert, der Dozent legt also fest, wo die „eins“ ist, und danach beginnt das Zählen. Nicht zu vergessen ist natürlich die Wildcard in Gestalt der deutschen Studentin, die keine solche Nummer hat und im Hörsaal hin- und hergeschoben wird, bis sie einen Platz gefunden hat, auf den niemand Ansprüche erhebt (zumindest nicht offen).[1] (Es erinnert ein wenig an “Reise nach Jerusalem”.) Und natürlich müssen alle Taschen auf einem Berg beachtlicher Höhe in einer Ecke des Hörsaals gestapelt werden.
Im Hinblick auf die Klausuren mag es hierzulande strenger zugehen, doch wo eine gewisse, sagen wir mal: Toleranz herrscht, sind Aufsätze und Hausarbeiten. Abgeschrieben? Beim nächsten Mal musst du das schon selber machen. Keine Quellen? Naja, ihr lernt ja noch. Wenn man es so direkt vergleichen möchte, ist es also genau andersrum als in Deutschland, wo in Klausuren alle linsen, was der Nachbar so zusammenzimmert (außer mir natürlich *hust*)[2], man aber wegen einer falsch gesetzten Fußnote mächtigen Ärger bekommen kann.
Die Eingangshalle des Gebäudes, in dem meine Klausuren stattfanden, ist mittlerweile mit Schummel-Bekanntmachungen zugekleistert, sie hat eine Art neue Tapete erhalten. Das bedeutet auch: Die Klausuren neigen sich dem Ende entgegen, oder besser gesagt: Meine sind alle vorbei. Wie die Noten nun aussehen… nun ja. Ich möchte mal lieber nicht darüber spekulieren. Aber wenn ich durchgefallen bin, war es immerhin eigene Verpeiltheit und nicht die meiner Sitznachbarn.
Noch ein Wort zu den Plakaten: Datenschutz wird hier eher kleingeschrieben. Die Namen der Unglücksraben, die sich nun vielleicht sogar nach einer neuen Uni umsehen müssen, sind natürlich enthalten, und wer nochmal ganz sichergehen möchte, dass es auch wirklich der (oder die) Li Yi war, findet auch Fakultät und Institut des jeweiligen Übeltäters.
[1] Besagte Wildcard würde das Nummernsystem gerne revolutionieren, indem sie ein Prinzip einführt, das sie noch aus Gymnasialzeiten kennt, nämlich: Erst setzen, dann Nummer verteilen. Aber wahrscheinlich sind die Klausurenaufseher viel zu beschäftigt, um auch noch Sitznummern auf Prüfungspapiere zu schreiben. Nun denn.
[2] Ohnehin stellt sich die Frage, ob Abschreiben in Klausuren an deutschen Unis (zumindest in meiner elfenbeintürmigen Heimat, den Geisteswissenschaften) überhaupt so viel bringt, schließlich sind die Aufgaben häufig „Erörtern Sie“, „Vergleichen Sie“, „Wenden Sie … an“. In China hingegen ist ein beachtlicher Teil der jeweiligen Klausur multiple-choice.
Auch dies würde die deutsche Auslandsstudentin gerne revolutionieren, denn wenn man multiple-choice abschaffen würde, wäre auch das Problem des Abschreibens ein wenig geschrumpft. Aber das ist wohl zu innovativ. Nun denn.